Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 156 |
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01 | Von dem Sinn des Sehens. |
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02 | § 19. Auch das Gesicht ist ein Sinn der mittelbaren Empfindung | ||||||
03 | durch eine nur für ein gewisses Organ (die Augen) empfindbare bewegte | ||||||
04 | Materie, durch Licht, welches nicht wie der Schall blos eine wellenartige | ||||||
05 | Bewegung eines flüssigen Elements ist, die sich im Raume umher nach | ||||||
06 | allen Seiten verbreitet, sondern eine Ausströmung, durch welche ein Punkt | ||||||
07 | für das Object im Raume bestimmt wird, und vermittelst dessen uns das | ||||||
08 | Weltgebäude in einem so unermeßlichen Umfange bekannt wird, daß, vornehmlich | ||||||
09 | bei selbstleuchtenden Himmelskörpern, wenn wir ihre Entfernung | ||||||
10 | mit unseren Maßstäben hier auf Erden vergleichen, wir über der Zahlenreihe | ||||||
11 | ermüden und dabei fast mehr Ursache haben, über die zarte Empfindsamkeit | ||||||
12 | dieses Organs in Ansehung der Wahrnehmung so geschwächter | ||||||
13 | Eindrücke zu erstaunen, als über die Größe des Gegenstandes (des Weltgebäudes), | ||||||
14 | vornehmlich wenn man die Welt im Kleinen, so wie sie uns | ||||||
15 | vermittelst Mikroskopien vor Augen gestellt wird, z. B. bei den Infusionsthierchen, | ||||||
16 | dazu nimmt. - Der Sinn des Gesichts ist, wenn gleich | ||||||
17 | nicht unentbehrlicher als der des Gehörs, doch der edelste: weil er sich | ||||||
18 | unter allen am meisten von dem der Betastung, als der eingeschränktesten | ||||||
19 | Bedingung der Wahrnehmungen, entfernt und nicht allein die größte | ||||||
20 | Sphäre derselben im Raume enthält, sondern auch sein Organ am wenigsten | ||||||
21 | afficirt fühlt (weil es sonst nicht bloßes Sehen sein würde), hiemit | ||||||
22 | also einer reinen Anschauung (der unmittelbaren Vorstellung des gegebenen | ||||||
23 | Objects ohne beigemischte merkliche Empfindung) näher kommt. | ||||||
24 | Diese drei äußern Sinne leiten durch Reflexion das Subject zum | ||||||
25 | Erkenntniß des Gegenstandes als eines Dinges außer uns. - Wenn aber | ||||||
26 | die Empfindung so stark wird, daß das Bewußtsein der Bewegung des | ||||||
27 | Organs stärker wird, als das der Beziehung auf ein äußeres Object, so | ||||||
28 | werden äußere Vorstellungen in innere verwandelt. - Das Glatte oder | ||||||
29 | Rauhe im Anfühlbaren bemerken, ist ganz was anderes, als die Figur | ||||||
30 | des äußeren Körpers dadurch erkundigen. Eben so: wenn das Sprechen | ||||||
31 | Anderer so stark ist, daß einem, wie man sagt, die Ohren davon wehthun, | ||||||
32 | oder wenn jemand, welcher aus einem dunkeln Gemach in den hellen | ||||||
33 | Sonnenschein tritt, mit den Augen blinzelt, so wird der letzte durch zu | ||||||
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