Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 150

   
         
 

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  01 des Gemüths mit dem Sinnenschein ist sehr angenehm und unterhaltend,    
  02 wie z. B. die perspectivische Zeichnung des Inneren eines Tempels, oder,    
  03 wie Raphael Mengs von dem Gemälde der Schule der Peripatetiker    
  04 (mich deucht, von Correggio) sagt: "daß, wenn man sie lange ansieht, sie    
  05 zu gehen scheinen"; oder wie eine im Stadthaus von Amsterdam gemalte    
  06 Treppe mit halbgeöffneter Thür jeden verleitet, an ihr hinaufzusteigen,    
  07 u. d. g.    
         
  08 Betrug aber der Sinne ist: wenn, so bald man weiß, wie es mit    
  09 dem Gegenstande beschaffen ist, auch der Schein sogleich aufhört. Dergleichen    
  10 sind die Taschenspielerkünste von allerlei Art. - Kleidung, deren    
  11 Farbe zum Gesicht vortheilhaft absticht, ist Illusion; Schminke aber Betrug.    
  12 Durch die erstere wird man verleitet, durch die zweite geäfft.    
  13 Daher kommt es auch, daß man mit Farben nach der Natur bemalte    
  14 Statüen menschlicher oder thierischer Gestalten nicht leiden mag: indem    
  15 man jeden Augenblick betrogen wird, sie für lebend zu halten, so oft sie    
  16 unversehens zu Gesichte kommen.    
         
  17 Bezauberung ( fascinatio ) in einem sonst gesunden Gemüthszustand    
  18 ist ein Blendwerk der Sinne, von dem man sagt, daß es nicht mit    
  19 natürlichen Dingen zugehe: weil das Urtheil, daß ein Gegenstand (oder    
  20 eine Beschaffenheit desselben) sei, bei darauf verwandter Attention mit    
  21 dem Urtheil, daß er nicht (oder anders gestaltet) sei, unwiderstehlich    
  22 wechselt, - der Sinn also sich selbst zu widersprechen scheint; wie ein    
  23 Vogel, der gegen den Spiegel, in dem er sich selbst sieht, flattert und ihn    
  24 bald für einen wirklichen Vogel bald nicht dafür hält. Dieses Spiel mit    
  25 Menschen, daß sie ihren eigenen Sinnen nicht trauen, findet vornehmlich    
  26 bei solchen statt, die durch Leidenschaft stark angegriffen werden.    
  27 Dem Verliebten, der (nach Helvetius) seine Geliebte in den Armen    
  28 eines Anderen sah, konnte diese, die es ihm schlechthin ableugnete, sagen:    
  29 "Treuloser, du liebst mich nicht mehr, du glaubst mehr, was du siehst, als    
  30 was ich dir sage." - Gröber, wenigstens schädlicher war der Betrug, den    
  31 die Bauchredner, die Gaßnere, die Mesmerianer u. d. g. vermeinte    
  32 Schwarzkünstler verübten. Man nannte vor Alters die armen, unwissenden    
  33 Weiber, die so etwas Übernatürliches thun zu können vermeinten,    
  34 Hexen, und noch in diesem Jahrhundert war der Glaube daran nicht    
  35 völlig ausgerottet*). Es scheint, das Gefühl der Verwunderung über    
         
    *) Ein protestantischer Geistliche in Schottland sagte noch in diesem Jahrhundert in dem Verhör über einen solchen Fall als Zeuge zum Richter: "Mein Herr, [Seitenumbruch] ich versichere Euch auf meine priesterliche Ehre, daß dieses Weib eine Hexe ist;" worauf der letztere erwiderte: "Und ich versichere Euch auf meine richterliche Ehre, daß Ihr kein Hexenmeister seid." Das jetzt deutsch gewordene Wort Hexe kommt von den Anfangsworten der Meßformel bei Einweihung der Hostie her, welche der Gläubige mit leiblichen Augen als eine kleine Scheibe Brod sieht, nach Aussprechung derselben aber mit geistigen Augen als den Leib eines Menschen zu sehen verbunden wird. Denn die Wörter hoc est haben zuerst das Wort corpus hinzugethan, wo hoc est corpus sprechen in hocuspocus machen verändert wurde, vermuthlich aus frommer Scheu den rechten Namen zu nennen und zu profaniren; wie es Abergläubische bei unnatürlichen Gegenständen zu thun pflegen, um sich daran nicht zu vergreifen.    
         
     

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