Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 137 |
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01 | beleuchtet. Sich das Grab in seinem Garten oder unter einem schattichten | ||||||
02 | Baum, im Felde oder im trockenen Boden bestellen, ist oft eine wichtige | ||||||
03 | Angelegenheit für einen Sterbenden: obzwar er im ersteren Fall keine | ||||||
04 | schöne Aussicht zu hoffen, im letzteren aber von der Feuchtigkeit den | ||||||
05 | Schnupfen zu besorgen nicht Ursache hat. | ||||||
06 | Daß das Kleid den Mann mache, gilt in gewisser Maße auch für | ||||||
07 | den Verständigen. Das russische Sprichwort sagt zwar: "Man empfängt | ||||||
08 | den Gast nach seinem Kleide und begleitet ihn nach seinem Verstande"; | ||||||
09 | aber der Verstand kann doch den Eindruck dunkeler Vorstellungen von | ||||||
10 | einer gewissen Wichtigkeit, den eine wohlgekleidete Person macht, nicht | ||||||
11 | verhüten, sondern allenfalls nur das vorläufig über sie gefällte Urtheil | ||||||
12 | hinten nach zu berichtigen den Vorsatz haben. | ||||||
13 | Sogar wird studirte Dunkelheit oft mit gewünschtem Erfolg gebraucht, | ||||||
14 | um Tiefsinn und Gründlichkeit vorzuspiegeln; wie etwa in der | ||||||
15 | Dämmerung oder durch einen Nebel gesehene Gegenstände immer größer | ||||||
16 | gesehen werden, als sie sind.*) Das Skotison (machs dunkel!) ist der | ||||||
17 | Machtspruch aller Mystiker, um durch gekünstelte Dunkelheit Schatzgräber | ||||||
18 | der Weisheit anzulocken. - Aber überhaupt ist auch ein gewisser Grad | ||||||
19 | des Räthselhaften in einer Schrift dem Leser nicht unwillkommen: weil | ||||||
20 | ihm dadurch seine eigene Scharfsinnigkeit fühlbar wird, das Dunkele in | ||||||
21 | klare Begriffe aufzulösen. | ||||||
22 | Von der Deutlichkeit und Undeutlichkeit im Bewußtsein |
[ entsprechender Abschnitt in den Reflexionen zur Antropologie (AA XV, 066) ] | |||||
23 | seiner Vorstellungen. |
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24 | § 6. Das Bewußtsein seiner Vorstellungen, welches zur Unterscheidung | ||||||
25 | eines Gegenstandes von anderen zureicht, ist Klarheit. Dasjenige | ||||||
*)Dagegen beim Tageslicht besehen, scheint das, was heller ist als die umgebenden Gegenstände, auch größer zu sein, z. B. weiße Strümpfe stellen vollere Waden vor als schwarze; ein Feuer, in der Nacht auf einem hohen Berge angelegt, scheint größer zu sein, als man es beim Ausmessen befindet. - Vielleicht läßt sich daraus auch die scheinbare Größe des Mondes und eben so die dem Anschein nach größere Weite der Sterne von einander nahe am Horizont erklären; denn in beiden Fällen erscheinen uns leuchtende Gegenstände, die nahe am Horizont durch eine mehr verdunkelnde Luftschicht gesehen werden, als hoch am Himmel, und was dunkel ist, wird durch das umgebende Licht auch als kleiner beurtheilt. Beim Scheibenschießen würde also eine schwarze Scheibe mit einem weißen Zirkel in der Mitte zum Treffen günstiger sein als umgekehrt. | |||||||
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