Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 133 |
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01 | Die offene Art sich zu erklären an einem der Mannbarkeit sich | ||||||
02 | nähernden Mädchen oder einem mit der städtischen Manier unbekannten | ||||||
03 | Landmann erweckt durch die Unschuld und Einfalt (die Unwissenheit in | ||||||
04 | der Kunst zu scheinen) ein fröhliches Lachen bei denen, die in dieser Kunst | ||||||
05 | schon geübt und gewitzigt sind. Nicht ein Auslachen mit Verachtung; | ||||||
06 | denn man ehrt doch hiebei im Herzen die Lauterkeit und Aufrichtigkeit; | ||||||
07 | sondern ein gutmüthiges, liebevolles Belachen der Unerfahrenheit in der | ||||||
08 | bösen, obgleich auf unsere schon verdorbene Menschennatur gegründeten, | ||||||
09 | Kunst zu scheinen, die man eher beseufzen als belachen sollte: wenn | ||||||
10 | man sie mit der Idee einer noch unverdorbenen Natur vergleicht.*) Es | ||||||
11 | ist eine augenblickliche Fröhlichkeit, wie von einem bewölkten Himmel, der | ||||||
12 | sich an einer Stelle einmal öffnet, den Sonnenstrahl durchzulassen, aber | ||||||
13 | sich sofort wieder zuschließt, um der blöden Maulwurfsaugen der Selbstsucht | ||||||
14 | zu schonen. | ||||||
15 | Was aber die eigentliche Absicht dieses §s betrifft, nämlich die obige | ||||||
16 | Warnung sich mit der Ausspähung und gleichsam studirten Abfassung | ||||||
17 | einer inneren Geschichte des unwillkürlichen Laufs seiner Gedanken und | ||||||
18 | Gefühle durchaus nicht zu befassen, so geschieht sie darum, weil es der gerade | ||||||
19 | Weg ist, in Kopfverwirrung vermeinter höherer Eingebungen und ohne | ||||||
20 | unser Zuthun, wer weiß woher, auf uns einfließenden Kräfte, in Illuminatism | ||||||
21 | oder Terrorism zu gerathen. Denn unvermerkt machen wir hier | ||||||
22 | vermeinte Entdeckungen von dem, was wir selbst in uns hineingetragen | ||||||
23 | haben; wie eine Bourignon mit schmeichelhaften, oder ein Pascal mit | ||||||
24 | schreckenden und ängstlichen Vorstellungen, in welchen Fall selbst ein sonst | ||||||
25 | vortrefflicher Kopf, Albrecht Haller, gerieth, der bei seinem lange geführten, | ||||||
26 | oft auch unterbrochenen Diarium seines Seelenzustandes zuletzt | ||||||
27 | dahin gelangte, einen berühmten Theologen, seinen vormaligen akademischen | ||||||
28 | Collegen, den D. Leß, zu befragen: ob er nicht in seinem weitläuftigen | ||||||
29 | Schatz der Gottesgelahrtheit Trost für seine beängstigte Seele antreffen | ||||||
30 | könne. | ||||||
31 | Die verschiedenen Acte der Vorstellungskraft in mir zu beobachten, | ||||||
32 | wenn ich sie herbeirufe, ist des Nachdenkens wohl werth, für Logik und | ||||||
33 | Metaphysik nöthig und nützlich. - Aber sich belauschen zu wollen, so wie | ||||||
34 | sie auch ungerufen von selbst ins Gemüth kommen (das geschieht durch | ||||||
*) In Rücksicht auf diese könnte man den bekannten Vers des Persius so parodiren: Naturam videant ingemiscantque relicta. | |||||||
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