Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 102 |
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01 | zu verlängern, diese Sorgfalt bewirkt gerade das Widerspiel, nämlich das | ||||||
02 | frühe Altwerden und Verkürzung des Lebens. --Auch das sehr alt gewordene | ||||||
03 | mehrentheils verehelichte Personen gewesen wären, möchte | ||||||
04 | schwer zu beweisen sein. -In einigen Familien ist das Altwerden erblich, | ||||||
05 | und die Paarung in einer solchen kann wohl einen Familienschlag dieser | ||||||
06 | Art begründen. Es ist auch kein übles politisches Princip, zu Beförderung | ||||||
07 | der Ehen das gepaarte Leben als ein langes Leben anzupreisen; obgleich | ||||||
08 | die Erfahrung immer verhältnißweise nur wenig Beispiele davon | ||||||
09 | an die Hand giebt von solchen, die neben einander vorzüglich alt geworden | ||||||
10 | sind; aber die Frage ist hier nur vom physiologischen Grunde des Altwerdens | ||||||
11 | wie es die Natur verfügt, nicht vom politischen, wie die Convenienz | ||||||
12 | des Staats die öffentliche Meinung seiner Absicht gemäß bestimmt | ||||||
13 | zu sein verlangt. -Übrigens ist das Philosophiren, ohne darum eben | ||||||
14 | Philosoph zu sein, auch ein Mittel der Abwehrung mancher unangenehmer | ||||||
15 | Gefühle und doch zugleich Agitation des Gemüths, welches in seine Beschäftigung | ||||||
16 | ein Interesse bringt, das von äußern Zufälligkeiten unabhängig | ||||||
17 | und eben darum, obgleich nur als Spiel, dennoch kräftig und inniglich ist | ||||||
18 | und die Lebenskraft nicht stocken läßt. Dagegen Philosophie, die ihr | ||||||
19 | Interesse am Ganzen des Endzwecks der Vernunft (der eine absolute Einheit | ||||||
20 | ist) hat, ein Gefühl der Kraft bei sich führt, welches die körperliche | ||||||
21 | Schwächen des Alters in gewissem Maße durch vernünftige Schätzung des | ||||||
22 | Werths des Lebens wohl vergüten kann. -Aber neu sich eröffnende Aussichten | ||||||
23 | zu Erweiterung seiner Erkenntnisse, wenn sie auch gerade nicht zur | ||||||
24 | Philosophie gehörten, leisten doch auch eben dasselbe, oder etwas dem Ähnliches; | ||||||
25 | und sofern der Mathematiker hieran ein unmittelbares Interesse | ||||||
26 | (nicht als an einem Werkzeuge zu anderer Absicht) nimmt, so ist er | ||||||
27 | in sofern auch Philosoph und genießt die Wohlthätigkeit einer solchen Erregungsart | ||||||
28 | seiner Kräfte in einem verjüngten und ohne Erschöpfung verlängerten | ||||||
29 | Leben. | ||||||
30 | Aber auch bloße Tändeleien in einem sorgenfreien Zustande leisten, | ||||||
31 | als Surrogate, bei eingeschränkten Köpfen fast eben dasselbe, und die mit | ||||||
32 | Nichtsthun immer vollauf zu thun haben, werden gemeiniglich auch alt. | ||||||
33 | - Ein sehr bejahrter Mann fand dabei ein großes Interesse, daß die vielen | ||||||
34 | Stutzuhren in seinem Zimmer immer nach einander, keine mit der andern | ||||||
35 | zugleich schlagen mußten; welches ihn und den Uhrmacher den Tag über | ||||||
36 | genug beschäftigte und dem letztern zu verdienen gab. Ein Anderer fand | ||||||
37 | in der Abfütterung und Cur seiner Sangvögel hinreichende Beschäftigung, | ||||||
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