Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 098 |
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01 | Geschicklichkeit auch das, was zugleich an sich Pflicht ist, mit Weisheit | ||||||
02 | zu verordnen weiß: so daß moralisch=praktische Philosophie zugleich eine | ||||||
03 | Universalmedicin abgiebt, die zwar nicht Allen für Alles hilft, aber doch | ||||||
04 | in keinem Recepte mangeln kann. | ||||||
05 | Dieses Universalmittel betrifft aber nur die Diätetik, d. i. es wirkt | ||||||
06 | nur negativ, als Kunst, Krankheiten abzuhalten. Dergleichen Kunst | ||||||
07 | aber setzt ein Vermögen voraus, das nur Philosophie, oder der Geist derselben, | ||||||
08 | den man schlechthin voraussetzen muß, geben kann. Auf diesen bezieht | ||||||
09 | sich die oberste diätetische Aufgabe, welche in dem Thema enthalten | ||||||
10 | ist: | ||||||
11 | Von der Macht des Gemüths des Menschen über seine krankhafte | ||||||
12 | Gefühle durch den bloßen festen Vorsatz Meister zu | ||||||
13 | sein. | ||||||
14 | Die die Möglichkeit dieses Ausspruchs bestätigenden Beispiele kann | ||||||
15 | ich nicht von der Erfahrung Anderer hernehmen, sondern zuerst nur von | ||||||
16 | der an mir selbst angestellten, weil sie aus dem Selbstbewußtsein hervorgeht | ||||||
17 | und sich nachher allererst Andere fragen läßt: ob es nicht auch sie | ||||||
18 | eben so in sich wahrnehmen. - Ich sehe mich also genöthigt, mein Ich | ||||||
19 | laut werden zu lassen, was im dogmatischen Vortrage *) Unbescheidenheit | ||||||
20 | verräth, aber Verzeihung verdient, wenn es nicht gemeine Erfahrung, | ||||||
21 | sondern ein inneres Experiment oder Beobachtung betrifft, welche ich zuerst | ||||||
22 | an mir selbst angestellt haben muß, um etwas, was nicht jedermann | ||||||
23 | von selbst, und ohne darauf geführt zu sein, beifällt, zu seiner Beurtheilung | ||||||
24 | vorzulegen. - Es würde tadelhafte Anmaßung sein, Andere mit | ||||||
25 | der inneren Geschichte meines Gedankenspiels unterhalten zu wollen, welche | ||||||
26 | zwar subjective Wichtigkeit (für mich), aber keine objective (für jedermann | ||||||
27 | geltende) enthielte. Wenn aber dieses Aufmerken auf sich selbst | ||||||
28 | und die daraus hervorgehende Wahrnehmung nicht so gemein ist, sondern, | ||||||
29 | daß jeder dazu aufgefordert werde, eine Sache ist, die es bedarf und verdient, | ||||||
30 | so kann dieser Übelstand mit seinen Privatempfindungen Andere zu | ||||||
31 | unterhalten, wenigstens verziehen werden. | ||||||
32 | Ehe ich nun mit dem Resultat meiner in Absicht auf Diätetik angestellten | ||||||
*) Im dogmatisch=praktischen Vortrage, z. B. derjenigen Beobachtung seiner selbst, die auf Pflichten abzweckt, die Jedermann angehen, spricht der Kanzelredner nicht durch Ich, sondern Wir. In dem erzählenden aber, der Privatempfindung (der Beichte, welche der Patient seinem Arzte ablegt), oder eigener Erfahrung an sich selbst muß er durch Ich reden. | |||||||
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