Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 058 |
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| 01 | unmittelbaren Einfluß der Gottheit als einer solchen fühlen wollen, ist, | ||||||
| 02 | weil die Idee von dieser blos in der Vernunft liegt, eine sich selbst widersprechende | ||||||
| 03 | Anmaßung.- Also ist hier eine Aufgabe sammt ihrer Auflösung | ||||||
| 04 | ohne irgend einen möglichen Beweis; woraus denn auch nie etwas | ||||||
| 05 | Vernünftiges gemacht werden wird. | ||||||
| 06 | Es kommt nun noch darauf an, nachzusuchen, ob die Bibel nicht noch | ||||||
| 07 | ein anderes Princip der Auflösung jenes Spenerischen Problems, als die | ||||||
| 08 | zwei angeführte sectenmäßige enthalte, welches die Unfruchtbarkeit des | ||||||
| 09 | kirchlichen Grundsatzes der bloßen Orthodoxie ersetzen könne. In der That | ||||||
| 10 | ist nicht allein in die Augen fallend, daß ein solches in der Bibel anzutreffen | ||||||
| 11 | sei, sondern auch überzeugend gewiß, daß nur durch dasselbe und | ||||||
| 12 | das in diesem Princip enthaltene Christenthum dieses Buch seinen so weit | ||||||
| 13 | ausgebreiteten Wirkungskreis und dauernden Einfluß auf die Welt hat | ||||||
| 14 | erwerben können, eine Wirkung, die keine Offenbarungslehre (als solche), | ||||||
| 15 | kein Glaube an Wunder, keine vereinigte Stimme vieler Bekenner je hervorgebracht | ||||||
| 16 | hätte, weil sie nicht aus der Seele des Menschen selbst geschöpft | ||||||
| 17 | gewesen wäre und ihm also immer hätte fremd bleiben müssen. | ||||||
| 18 | Es ist nämlich etwas in uns, was zu bewundern wir niemals aufhören | ||||||
| 19 | können, wenn wir es einmal ins Auge gefaßt haben, und dieses ist | ||||||
| 20 | zugleich dasjenige, was die Menschheit in der Idee zu einer Würde erhebt, | ||||||
| 21 | die man am Menschen als Gegenstande der Erfahrung nicht vermuthen | ||||||
| 22 | sollte. Daß wir den moralischen Gesetzen unterworfene und zu | ||||||
| 23 | deren Beobachtung selbst mit Aufopferung aller ihnen widerstreitenden | ||||||
| 24 | Lebensannehmlichkeiten durch unsere Vernunft bestimmte Wesen sind, darüber | ||||||
| 25 | wundert man sich nicht, weil es objectiv in der natürlichen Ordnung | ||||||
| 26 | der Dinge als Objecte der reinen Vernunft liegt, jenen Gesetzen zu gehorchen: | ||||||
| 27 | ohne daß es dem gemeinen und gesunden Verstande nur einmal | ||||||
| 28 | einfällt, zu fragen, woher uns jene Gesetze kommen mögen, um vielleicht, | ||||||
| 29 | bis wir ihren Ursprung wissen, die Befolgung derselben aufzuschieben, oder | ||||||
| 30 | wohl gar ihre Wahrheit zu bezweifeln.- Aber daß wir auch das Vermögen | ||||||
| 31 | dazu haben, der Moral mit unserer sinnlichen Natur so große | ||||||
| 32 | Opfer zu bringen, daß wir das auch können, wovon wir ganz leicht und | ||||||
| 33 | klar begreifen, daß wir es sollen, diese Überlegenheit des übersinnlichen | ||||||
| 34 | Menschen in uns über den sinnlichen, desjenigen, gegen den | ||||||
| 35 | der letztere (wenn es zum Widerstreit kommt) nichts ist, ob dieser zwar in | ||||||
| 36 | seinen eigenen Augen Alles ist, diese moralische, von der Menschheit unzertrennliche | ||||||
| 37 | Anlage in uns ist ein Gegenstand der höchsten Bewunderung, | ||||||
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