Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 052 |
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01 | Vermannigfaltigung der Kirchen erhebt, wie es bei den Protestanten geschehen | ||||||
02 | ist) pflegt man zwar zu sagen: es ist gut, daß es vielerlei Religionen | ||||||
03 | (eigentlich kirchliche Glaubensarten in einem Staate) giebt, und so | ||||||
04 | fern ist dieses auch richtig, als es ein gutes Zeichen ist: nämlich daß Glaubensfreiheit | ||||||
05 | dem Volke gelassen worden; aber es ist eigentlich nur ein | ||||||
06 | Lob für die Regierung. An sich aber ist ein solcher öffentlicher Religionszustand | ||||||
07 | doch nicht gut, dessen Princip so beschaffen ist, daß es nicht, wie | ||||||
08 | es doch der Begriff einer Religion erfordert, Allgemeinheit und Einheit | ||||||
09 | der wesentlichen Glaubensmaximen bei sich führt und den Streit, der von | ||||||
10 | dem Außerwesentlichen herrührt, nicht von jenem unterscheidet. Der Unterschied | ||||||
11 | der Meinungen in Ansehung der größeren oder minderen Schicklichkeit | ||||||
12 | oder Unschicklichkeit des Vehikels der Religion zu dieser als Endabsicht | ||||||
13 | selbst (nämlich die Menschen moralisch zu bessern) mag also allenfalls Verschiedenheit | ||||||
14 | der Kirchensecten, darf aber darum nicht Verschiedenheit der | ||||||
15 | Religionssecten bewirken, welche der Einheit und Allgemeinheit der Religion | ||||||
16 | (also der unsichtbaren Kirche) gerade zuwider ist. Aufgeklärte Katholiken | ||||||
17 | und Protestanten werden also einander als Glaubensbrüder ansehen | ||||||
18 | können, ohne sich doch zu vermengen, beide in der Erwartung (und Bearbeitung | ||||||
19 | zu diesem Zweck): daß die Zeit unter Begünstigung der Regierung | ||||||
20 | nach und nach die Förmlichkeiten des Glaubens (der freilich alsdann nicht | ||||||
21 | ein Glaube sein muß, Gott sich durch etwas anders, als durch reine moralische | ||||||
22 | Gesinnung günstig zu machen oder zu versöhnen) der Würde ihres | ||||||
23 | Zwecks, nämlich der Religion selbst, näher bringen werde. -Selbst in | ||||||
24 | Ansehung der Juden ist dieses ohne die Träumerei einer allgemeinen | ||||||
25 | Judenbekehrung*) (zum Christenthum als einem messianischen Glauben) | ||||||
26 | möglich, wenn unter ihnen, wie jetzt geschieht, geläuterte Religionsbegriffe | ||||||
27 | erwachen und das Kleid des nunmehr zu nichts dienenden, vielmehr alle | ||||||
*) Moses Mendelssohn wies dieses Ansinnen auf eine Art ab, die seiner Klugheit Ehre macht (durch eine argumentatio ad hominem ). So lange (sagt er) als nicht Gott vom Berge Sinai eben so feierlich unser Gesetz aufhebt, als er es (unter Donner und Blitz) gegeben, d. i. bis zum Nimmertag, sind wir daran gebunden; womit er wahrscheinlicher Weise sagen wollte: Christen, schafft ihr erst das Judenthum aus Eurem eigenen Glauben weg: so werden wir auch das unsrige verlassen. - Daß er aber seinen eignen Glaubensgenossen durch diese harte Forderung die Hoffnung zur mindesten Erleichterung der sie drückenden Lasten abschnitt, ob er zwar wahrscheinlich die wenigsten derselben für wesentlich seinem Glauben angehörig hielt, ob das seinem guten Willen Ehre mache, mögen diese selbst entscheiden. | |||||||
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