Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 047 |
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01 | befugt ist. Daher bei diesem, der gänzlich auf Moralität des Lebenswandels, | ||||||
02 | aufs Thun, gerichtet ist, das Fürwahrhalten historischer, obschon | ||||||
03 | biblischer Lehren an sich keinen moralischen Werth oder Unwerth hat und | ||||||
04 | unter die Adiaphora gehört. - c) Einwurf: Wie kann man einem | ||||||
05 | Geistlichtodten das "Stehe auf und wandle!" zurufen, wenn diesen Zuruf | ||||||
06 | nicht zugleich eine übernatürliche Macht begleitet, die Leben in ihn hineinbringt? | ||||||
07 | Antwort: Der Zuruf geschieht an den Menschen durch seine | ||||||
08 | eigene Vernunft, sofern sie das übersinnliche Princip des moralischen | ||||||
09 | Lebens in sich selbst hat. Durch dieses kann der Mensch zwar vielleicht | ||||||
10 | nicht sofort zum Leben und um von selbst aufzustehen, aber doch sich zu | ||||||
11 | regen und zur Bestrebung eines guten Lebenswandels erweckt werden (wie | ||||||
12 | einer, bei dem die Kräfte nur schlafen, aber darum nicht erloschen sind), | ||||||
13 | und das ist schon ein Thun, welches keines äußeren Einflusses bedarf und, | ||||||
14 | fortgesetzt, den beabsichtigten Wandel bewirken kann. -d)Einwurf: | ||||||
15 | Der Glaube an eine uns unbekannte Ergänzungsart des Mangels unserer | ||||||
16 | eigenen Gerechtigkeit, mithin als Wohlthat eines Anderen ist eine | ||||||
17 | umsonst angenommene Ursache ( petitio principii ) zu Befriedigung des | ||||||
18 | von uns gefühlten Bedürfnisses. Denn was wir von der Gnade eines | ||||||
19 | Oberen erwarten, davon können wir nicht, als ob es sich von selbst verstände | ||||||
20 | annehmen, daß es uns zu Theil werden müsse, sondern nur, wenn | ||||||
21 | es uns wirklich versprochen worden, und daher nur durch Acceptation eines | ||||||
22 | uns geschehenen bestimmten Versprechens, wie durch einen förmlichen Vertrag. | ||||||
23 | Also können wir, wie es scheint, jene Ergänzung nur, sofern sie durch | ||||||
24 | göttliche Offenbarung wirklich zugesagt worden, und nicht auf gut | ||||||
25 | Glück hin hoffen und voraussetzen. Antwort: eine unmittelbare göttliche | ||||||
26 | Offenbarung in dem tröstenden Ausspruch: "Dir sind deine Sünden vergeben." | ||||||
27 | wäre eine übersinnliche Erfahrung, welche unmöglich ist. Aber | ||||||
28 | diese ist auch in Ansehung dessen, was (wie die Religion) auf moralischen | ||||||
29 | Vernunftgründen beruht und dadurch a priori, wenigstens in praktischer | ||||||
30 | Absicht, gewiß ist, nicht nöthig. Von einem heiligen und gütigen Gesetzgeber | ||||||
31 | kann man sich die Decrete in Ansehung gebrechlicher, aber Alles, | ||||||
32 | was sie für Pflicht erkennen, nach ihrem ganzen Vermögen zu befolgen | ||||||
33 | strebender Geschöpfe nicht anders denken, und selbst der Vernunftglaube | ||||||
34 | und das Vertrauen auf eine solche Ergänzung , ohne daß eine bestimmte | ||||||
35 | empirisch ertheilte Zusage dazu kommen darf, beweiset mehr die ächte moralische | ||||||
36 | Gesinnung und hiemit die Empfänglichkeit für jene gehoffte Gnadenbezeigung, | ||||||
37 | als es ein empirischer Glaube thun kann. | ||||||
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