Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 043 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
Verknüpfungen:
|
|
||||
| 01 | sich leidend verhielte, vorgestellt werden; die Auslegung der Schriftstellen | ||||||
| 02 | welche buchstäblich das letztere zu enthalten scheinen, muß also auf die | ||||||
| 03 | Übereinstimmung mit dem ersteren Grundsatze absichtlich gerichtet werden. | ||||||
| 04 | Wenn unter Natur das im Menschen herrschende Princip der Beförderung | ||||||
| 05 | seiner Glückseligkeit, unter Gnade aber die in uns liegende | ||||||
| 06 | unbegreifliche moralische Anlage, d. i. das Princip der reinen Sittlichkeit, | ||||||
| 07 | verstanden wird, so sind Natur und Gnade nicht allein von einander | ||||||
| 08 | unterschieden, sondern auch oft gegen einander in Widerstreit. Wird aber | ||||||
| 09 | unter Natur (in praktischer Bedeutung) das Vermögen aus eigenen Kräften | ||||||
| 10 | überhaupt gewisse Zwecke auszurichten verstanden, so ist Gnade nichts | ||||||
| 11 | anders als Natur des Menschen, so fern er durch sein eigenes inneres, | ||||||
| 12 | aber übersinnliches Princip (die Vorstellung seiner Pflicht) zu Handlungen | ||||||
| 13 | bestimmt wird, welches, weil wir uns es erklären wollen, gleichwohl | ||||||
| 14 | aber weiter keinen Grund davon wissen, von uns als von der Gottheit in | ||||||
| 15 | uns gewirkter Antrieb zum Guten, dazu wir die Anlage in uns nicht selbst | ||||||
| 16 | gegründet haben, mithin als Gnade vorgestellt wird. -Die Sünde nämlich | ||||||
| 17 | (die Bösartigkeit in der menschlichen Natur) hat das Strafgesetz | ||||||
| 18 | (gleich als für Knechte) nothwendig gemacht,Die Gnade aber (d. i. die | ||||||
| 19 | durch den Glauben an die ursprüngliche Anlage zum Guten in uns und | ||||||
| 20 | die durch das Beispiel der Gott wohlgefälligen Menschheit an dem Sohne | ||||||
| 21 | Gottes lebendig werdende Hoffnung der Entwickelung dieses Guten) kann | ||||||
| 22 | und soll in uns (als Freien) noch mächtiger werden, wenn wir sie nur in | ||||||
| 23 | uns wirken, d. h. die Gesinnungen eines jenem heil. Beispiel ähnlichen | ||||||
| 24 | Lebenswandels thätig werden lassen. -Die Schriftstellen also, die eine | ||||||
| 25 | blos passive Ergebung an eine äußere in uns Heiligkeit wirkende Macht | ||||||
| 26 | zu enthalten scheinen, müssen so ausgelegt werden, daß daraus erhelle, | ||||||
| 27 | wir müssen an der Entwickelung jener moralischen Anlage in uns selbst | ||||||
| 28 | arbeiten, ob sie zwar selber eine Göttlichkeit eines Ursprungs beweiset, | ||||||
| 29 | der höher ist als alle Vernunft (in der theoretischen Nachforschung der | ||||||
| 30 | Ursache), und daher, sie besitzen, nicht Verdienst, sondern Gnade ist. | ||||||
| 31 | IV Wo das eigene Thun zur Rechtfertigung des Menschen vor seinem | ||||||
| 32 | eigenen (strenge richtenden) Gewissen nicht zulangt, da ist die Vernunft | ||||||
| 33 | befugt allenfalls eine übernatürliche Ergänzung seiner mangelhaften | ||||||
| 34 | Gerechtigkeit (auch ohne daß sie bestimmen darf, worin sie bestehe) | ||||||
| 35 | gläubig anzunehmen. | ||||||
| 36 | Diese Befugniß ist für sich selbst klar; denn was der Mensch nach | ||||||
| 37 | seiner Bestimmung sein soll (nämlich dem heil. Gesetz angemessen), das | ||||||
| [ Seite 042 ] [ Seite 044 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |
|||||||