Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 033

   
         
 

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  01 ja verbunden, diesem Ursprunge mit kritischer Bedenklichkeit nachzuspüren.    
  02 Ist sie rational, ob sie gleich im Tone einer historischen Erkenntniß (als    
  03 Offenbarung) aufgestellt worden, so kann ihr (der untern Facultät) nicht    
  04 gewehrt werden, die Vernunftgründe der Gesetzgebung aus dem historischen    
  05 Vortrage herauszusuchen und überdem, ob sie technisch= oder moralisch    
  06 praktisch sind, zu würdigen. Wäre endlich der Quell der sich als Gesetz ankündigenden    
  07 Lehre gar nur ästhetisch, d.i. auf ein mit einer Lehre verbundenes    
  08 Gefühl gegründet (welches, da es kein objectives Princip abgiebt,    
  09 nur als subjectiv gültig, ein allgemeines Gesetz daraus zu machen untauglich,    
  10 etwa frommes Gefühl eines übernatürlichen Einflusses sein würde),    
  11 so muß es der philosophischen Facultät frei stehen, den Ursprung und Gehalt    
  12 eines solchen angeblichen Belehrungsgrundes mit kalter Vernunft    
  13 öffentlich zu prüfen und zu würdigen, ungeschreckt durch die Heiligkeit des    
  14 Gegenstandes, den man zu fühlen vorgiebt, und entschlossen dieses vermeinte    
  15 Gefühl auf Begriffe zu bringen. -Folgendes enthält die formale    
  16 Grundsätze der Führung eines solchen Streits und die sich daraus ergebende    
  17 Folgen.    
         
  18 1) Dieser Streit kann und soll nicht durch friedliche Übereinkunft    
  19 ( amicabilis composito ) beigelegt werden, sondern bedarf (als Proceß)    
  20 einer Sentenz, d.i. des rechtskräftigen Spruchs eines Richters (der Vernunft);    
  21 denn es könnte nur durch Unlauterkeit, Verheimlichung der Ursachen    
  22 des Zwistes und Beredung geschehen, daß er beigelegt würde, dergleichen    
  23 Maxime aber dem Geiste einer philosophischen Facultät, als    
  24 der auf öffentliche Darstellung der Wahrheit geht, ganz zuwider ist.    
         
  25 2)Er kann nie aufhören, und die philosophische Facultät ist diejenige,    
  26 die dazu jederzeit gerüstet sein muß. Denn statuarische Vorschriften der    
  27 Regierung in Ansehung der öffentlich vorzutragenden Lehren werden immer    
  28 sein müssen, weil die unbeschränkte Freiheit, alle seine Meinungen ins    
  29 Publicum zu schreien, theils der Regierung, theils aber auch diesem Publicum    
  30 selbst gefährlich werden müßte. Alle Satzungen der Regierung aber,    
  31 weil sie von Menschen ausgehen, wenigstens von diesen sanctionirt werden,    
  32 bleiben jederzeit der Gefahr des Irrthums oder der Zweckwidrigkeit unterworfen;    
  33 mithin sind sie es auch in Ansehung der Sanction der Regierung,    
  34 womit diese die obere Facultäten versieht. Folglich kann die philosophische    
  35 Facultät ihre Rüstung gegen die Gefahr, womit die Wahrheit, deren Schutz    
  36 ihr aufgetragen ist, bedroht wird, nie ablegen, weil die obere Facultäten    
  37 ihre Begierde zu herrschen nie ablegen werden.    
         
         
     

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