Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 032 |
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01 | zwischen den obern und der untern Facultät, weil das Princip der Gesetzgebung | ||||||
02 | für die ersteren, welches man der Regierung unterlegt, eine von | ||||||
03 | ihr autorisirte Gesetzlosigkeit selbst sein würde.- Denn da Neigung und | ||||||
04 | überhaupt das, was jemand seiner Privatabsicht zuträglich findet, sich | ||||||
05 | schlechterdings nicht zu einem Gesetze qualificirt, mithin auch nicht als ein | ||||||
06 | solches von den obern Facultäten vorgetragen werden kann, so würde eine | ||||||
07 | Regierung, welche dergleichen sanctionirte, indem sie wider die Vernunft | ||||||
08 | selbst verstößt, jene obere Facultäten mit der philosophischen in einen | ||||||
09 | Streit versetzen, der gar nicht geduldet werden kann, indem er diese gänzlich | ||||||
10 | vernichtet, welches freilich das kürzeste, aber auch (nach dem Ausdruck | ||||||
11 | der Ärzte) ein in Todesgefahr bringendes heroisches Mittel ist, einen | ||||||
12 | Streit zu Ende zu bringen. | ||||||
13 | Vierter Abschnitt. |
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14 | Vom gesetzmäßigen Streit der oberen Facultäten |
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15 | mit der unteren. |
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16 | Welcherlei Inhalts auch die Lehren immer sein mögen, deren öffentlichen | ||||||
17 | Vortrag die Regierung durch ihre Sanction den obern Facultäten | ||||||
18 | aufzulegen befugt sein mag, so können sie doch nur als Statute, die von | ||||||
19 | ihrer Willkür ausgehen, und als menschliche Weisheit, die nicht unfehlbar | ||||||
20 | ist, angenommen und verehrt werden. Weil indessen die Wahrheit derselben | ||||||
21 | ihr durchaus nicht gleichgültig sein darf, in Ansehung welcher sie | ||||||
22 | der Vernunft (deren Interesse die philosophische Facultät zu besorgen hat) | ||||||
23 | unterworfen bleiben müssen, dieses aber nur durch Verstattung völliger | ||||||
24 | Freiheit einer öffentlichen Prüfung derselben möglich ist, so wird, weil willkürliche, | ||||||
25 | obzwar höchsten Orts sanctionirte, Satzungen mit den durch die | ||||||
26 | Vernunft als nothwendig behaupteten Lehren nicht so von selbst immer zusammenstimmen | ||||||
27 | dürften, erstlich zwischen den obern Facultäten und der | ||||||
28 | untern der Streit unvermeidlich, zweitens aber auch gesetzmäßig sein, | ||||||
29 | und dieses nicht blos als Befugniß, sondern auch als Pflicht der letzteren, | ||||||
30 | wenn gleich nicht die ganze Wahrheit öffentlich zu sagen, doch darauf bedacht | ||||||
31 | zu sein, daß alles, was, so gesagt, als Grundsatz aufgestellt wird, | ||||||
32 | wahr sei. | ||||||
33 | Wenn die Quelle gewisser sanctionirter Lehren historisch ist, so | ||||||
34 | mögen diese auch noch so sehr als heilig dem unbedenklichen Gehorsam des | ||||||
35 | Glaubens anempfohlen werden: die philosophische Facultät ist berechtigt, | ||||||
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