Kant: AA VII, Der Streit der ... , Seite 019 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
Verknüpfungen:
|
|
||||
01 | Wissenschaft zu besorgen hat, die untere genannt wird, weil diese es mit | ||||||
02 | ihren Sätzen halten mag, wie sie es gut findet. Die Regierung aber interessirt | ||||||
03 | das am allermeisten, wodurch sie sich den stärksten und daurendsten | ||||||
04 | Einfluß aufs Volk verschafft, und dergleichen sind die Gegenstände | ||||||
05 | der oberen Facultäten. Daher behält sie sich das Recht vor, die Lehren | ||||||
06 | der oberen selbst zu sanctioniren; die der untern überläßt sie der eigenen | ||||||
07 | Vernunft des gelehrten Volks. - Wenn sie aber gleich Lehren sanctionirt, | ||||||
08 | so lehrt sie (die Regierung) doch nicht selbst; sondern will nur, | ||||||
09 | daß gewisse Lehren von den respectiven Facultäten in ihren öffentlichen | ||||||
10 | Vortrag aufgenommen und die ihnen entgegengesetzte davon ausgeschlossen | ||||||
11 | werden sollen. Denn sie lehrt nicht, sondern befehligt nur die, welche | ||||||
12 | lehren (mit der Wahrheit mag es bewandt sein, wie es wolle), weil sie sich | ||||||
13 | bei Antretung ihres Amts*) durch einen Vertrag mit der Regierung dazu | ||||||
14 | verstanden haben. -Eine Regierung, die sich mit den Lehren, also auch | ||||||
15 | mit der Erweiterung oder Verbesserung der Wissenschaften befaßte, mithin | ||||||
16 | selbst in höchster Person den Gelehrten spielen wollte, würde sich durch | ||||||
17 | diese Pedanterei nur um die ihr schuldige Achtung bringen, und es ist | ||||||
18 | unter ihrer Würde, sich mit dem Volk (dem Gelehrtenstande desselben) gemein | ||||||
19 | zu machen, welches keinen Scherz versteht und alle, die sich mit Wissenschaften | ||||||
20 | bemengen, über einen Kamm schiert. | ||||||
21 | Es muß zum gelehrten gemeinen Wesen durchaus auf der Universität | ||||||
22 | noch eine Facultät geben, die, in Ansehung ihrer Lehren vom Befehle | ||||||
23 | der Regierung unabhängig**), keine Befehle zu geben, aber doch alle zu | ||||||
*) Man muß es gestehen, daß der Grundsatz des großbritannischen Parlaments: die Rede ihres Königes vom Thron sei als ein Werk seines Ministers anzusehen (da es der Würde eines Monarchen zuwider sein würde, sich Irrthum, Unwissenheit oder Unwahrheit vorrücken zu lassen, gleichwohl aber das Haus über ihren Inhalt zu urtheilen, ihn zu prüfen und anzufechten berechtigt sein muß), daß, sage ich, dieser Grundsatz sehr fein und richtig ausgedacht sei. Eben so muß auch die Auswahl gewisser Lehren, welche die Regierung zum öffentlichen Vortrage ausschließlich sanctionirt, der Prüfung der Gelehrten ausgesetzt bleiben, weil sie nicht als das Product des Monarchen, sondern eines dazu befehligten Staatsbeamten, von dem man annimmt, er könne auch wohl den Willen seines Herrn nicht Recht verstanden oder auch verdreht haben, angesehen werden muß. | |||||||
**)Ein französischer Minister berief eine der angesehensten Kaufleute zu sich und verlangte von ihnen Vorschläge, wie dem Handel aufzuhelfen sei: gleich als ob er darunter die beste zu wählen verstände. Nachdem einer dies, der andere das in Vorschlag gebracht hatte, sagte ein alter Kaufmann, der so lange geschwiegen [Seitenumbruch] hatte: Schafft gute Wege, schlagt gut Geld, gebt ein promptes Wechselrecht u. dgl. übrigens aber "laßt uns machen"! Dies wäre ungefähr die Antwort, welche die philosophische Facultät zu geben hätte, wenn die Regierung sie um die Lehren befrüge, die sie den Gelehrten überhaupt vorzuschreiben habe: den Fortschritt der Einsichten und Wissenschaften nur nicht zu hindern. | |||||||
[ Seite 018 ] [ Seite 020 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |