Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 446

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 kann, ist es Pflicht des Menschen gegen sich selbst, ein der Welt nützliches      
  02 Glied zu sein, weil dieses auch zum Werth der Menschheit in seiner eigenen      
  03 Person gehört, die er also nicht abwürdigen soll.      
           
  04 Die Pflicht des Menschen gegen sich selbst in Ansehung seiner physischen      
  05 Vollkommenheit ist aber nur weite und unvollkommene Pflicht:      
  06 weil sie zwar ein Gesetz für die Maxime der Handlungen enthält, in Ansehung      
  07 der Handlungen selbst aber ihrer Art und ihrem Grade nach nichts      
  08 bestimmt, sondern der freien Willkür einen Spielraum verstattet.      
           
  09

Zweiter Abschnitt.

     
  10

Von der Pflicht gegen sich selbst in Erhöhung seiner

     
  11

moralischen Vollkommenheit, d. i. in blos sittlicher Absicht.

     
           
  12
§ 21.
     
           
  13 Sie besteht erstlich subjectiv in der Lauterkeit ( puritas moralis )      
  14 der Pflichtgesinnung: da nämlich auch ohne Beimischung der von der      
  15 Sinnlichkeit hergenommenen Absichten das Gesetz für sich allein Triebfeder      
  16 ist, und die Handlungen nicht blos pflichtmäßig, sondern auch aus      
  17 Pflicht geschehen. - "Seid heilig" ist hier das Gebot. Zweitens objectiv      
  18 in Ansehung des ganzen moralischen Zwecks, der die Vollkommenheit,      
  19 d. i. seine ganze Pflicht und die Erreichung der Vollständigkeit des      
  20 moralischen Zwecks in Ansehung seiner selbst, betrifft, "seid vollkommen" ;      
  21 zu welchem Ziele aber hinzustreben beim Menschen immer nur ein Fortschreiten      
  22 von einer Vollkommenheit zur anderen ist, "ist etwa eine Tugend,      
  23 ist etwa ein Lob, dem trachtet nach."      
           
  24
§ 22.
     
           
  25 Diese Pflicht gegen sich selbst ist eine der Qualität nach enge und      
  26 vollkommene, obgleich dem Grade nach weite und unvollkommene Pflicht      
  27 und das wegen der Gebrechlichkeit ( fragilitas ) der menschlichen Natur.      
           
  28 Diejenige Vollkommenheit nämlich, zu welcher zwar das Streben,      
  29 aber nicht das Erreichen derselben (in diesem Leben) Pflicht ist, deren      
  30 Befolgung also nur im continuirlichen Fortschreiten bestehen kann, ist in      
  31 Hinsicht auf das Object (die Idee, deren Ausführung man sich zum      
  32 Zweck machen soll) zwar enge und vollkommene, in Rücksicht aber auf      
  33 das Subject weite und nur unvollkommene Pflicht gegen sich selbst.      
           
           
     

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