Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 447 |
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01 | Die Tiefen des menschlichen Herzens sind unergründlich. Wer kennt | ||||||
02 | sich gnugsam, wenn die Triebfeder zur Pflichtbeobachtung von ihm gefühlt | ||||||
03 | wird, ob sie gänzlich aus der Vorstellung des Gesetzes hervorgehe, oder | ||||||
04 | ob nicht manche andere, sinnliche Antriebe mitwirken, die auf den Vortheil | ||||||
05 | (oder zur Verhütung eines Nachtheils) angelegt sind und bei anderer Gelegenheit | ||||||
06 | auch wohl dem Laster zu Diensten stehen könnten? - Was aber | ||||||
07 | die Vollkommenheit als moralischen Zweck betrifft, so giebts zwar in der | ||||||
08 | Idee (objectiv) nur eine Tugend (als sittliche Stärke der Maximen), in | ||||||
09 | der That (subjectiv) aber eine Menge derselben von heterogener Beschaffenheit, | ||||||
10 | worunter es unmöglich sein dürfte, nicht irgend eine Untugend (ob | ||||||
11 | sie gleich eben jener wegen den Namen des Lasters nicht zu führen pflegen) | ||||||
12 | aufzufinden, wenn man sie suchen wollte. Eine Summe von Tugenden | ||||||
13 | aber, deren Vollständigkeit oder Mängel das Selbsterkenntniß uns nie | ||||||
14 | hinreichend einschauen läßt, kann keine andere als unvollkommene Pflicht | ||||||
15 | vollkommen zu sein begründen. | ||||||
16 | Also sind alle Pflichten gegen sich selbst in Ansehung des Zwecks der | ||||||
17 | Menschheit in unserer eigenen Person nur unvollkommene Pflichten. | ||||||
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