Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 445 |
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01 | seines Vermögens (zu allerlei Zwecken) verschaffen kann; denn dieser | ||||||
02 | würde vielleicht (nach Rousseauschen Grundsätzen) für die Rohigkeit des | ||||||
03 | Naturbedürfnisses vortheilhaft ausfallen: sondern es ist Gebot der moralisch | ||||||
04 | praktischen Vernunft und Pflicht des Menschen gegen sich selbst, | ||||||
05 | seine Vermögen (unter denselben eins mehr als das andere nach Verschiedenheit | ||||||
06 | seiner Zwecke) anzubauen und in pragmatischer Rücksicht ein dem | ||||||
07 | Zweck seines Daseins angemessener Mensch zu sein. | ||||||
08 | Geisteskräfte sind diejenigen, deren Ausübung nur durch die Vernunft | ||||||
09 | möglich ist. Sie sind so fern schöpferisch, als ihr Gebrauch nicht aus | ||||||
10 | Erfahrung geschöpft, sondern a priori aus Principien abgeleitet wird. | ||||||
11 | Dergleichen sind Mathematik, Logik und Metaphysik der Natur, welche | ||||||
12 | zwei letztere auch zur Philosophie, nämlich der theoretischen, gezählt werden, | ||||||
13 | die zwar alsdann nicht, wie der Buchstabe lautet, Weisheitslehre, | ||||||
14 | sondern nur Wissenschaft bedeutet, aber doch der ersteren zu ihrem Zwecke | ||||||
15 | beförderlich sein kann. | ||||||
16 | Seelenkräfte sind diejenige, welche dem Verstande und der Regel, | ||||||
17 | die er zu Befriedigung beliebiger Absichten braucht, zu Gebote stehen und | ||||||
18 | so fern an dem Leitfaden der Erfahrung geführt werden. Dergleichen ist | ||||||
19 | das Gedächtniß, die Einbildungskraft u. dgl., worauf Gelahrtheit, Geschmack | ||||||
20 | (innere und äußere Verschönerung) usw. gegründet werden können, | ||||||
21 | welche zu mannigfaltiger Absicht die Werkzeuge darbieten. | ||||||
22 | Endlich ist die Cultur der Leibeskräfte (die eigentliche Gymnastik) | ||||||
23 | die Besorgung dessen, was das Zeug (die Materie) am Menschen ausmacht, | ||||||
24 | ohne welches die Zwecke des Menschen unausgeführt bleiben würden; | ||||||
25 | mithin die fortdauernde absichtliche Belebung des Thieres am Menschen | ||||||
26 | Zweck des Menschen gegen sich selbst. | ||||||
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28 | Welche von diesen physischen Vollkommenheiten vorzüglich, und | ||||||
29 | in welcher Proportion in Vergleichung gegen einander sie sich zum | ||||||
30 | Zweck zu machen es Pflicht des Menschen gegen sich selbst sei, bleibt ihrer | ||||||
31 | eigenen vernünftigen Überlegung in Ansehung der Lust zu einer gewissen | ||||||
32 | Lebensart und zugleich der Schätzung seiner dazu erforderlichen Kräfte | ||||||
33 | überlassen, um darunter zu wählen (z. B. ob es ein Handwerk, oder der | ||||||
34 | Kaufhandel, oder die Gelehrsamkeit sein sollte). Denn abgesehen von dem | ||||||
35 | Bedürfniß der Selbsterhaltung, welches an sich keine Pflicht begründen | ||||||
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