Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 435 |
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01 | ja selbst seinen eigenen Zwecken, sondern als Zweck an sich selbst zu schätzen, | ||||||
02 | d. i. er besitzt eine Würde (einen absoluten innern Werth), wodurch | ||||||
03 | er allen andern vernünftigen Weltwesen Achtung für ihn abnöthigt, sich | ||||||
04 | mit jedem Anderen dieser Art messen und auf den Fuß der Gleichheit | ||||||
05 | schätzen kann. | ||||||
06 | Die Menschheit in seiner Person ist das Object der Achtung, die er | ||||||
07 | von jedem andern Menschen fordern kann; deren er aber auch sich nicht | ||||||
08 | verlustig machen muß. Er kann und soll sich also nach einem kleinen sowohl | ||||||
09 | als großen Maßstabe schätzen, nachdem er sich als Sinnenwesen | ||||||
10 | (seiner thierischen Natur nach), oder als intelligibles Wesen (seiner moralischen | ||||||
11 | Anlage nach) betrachtet. Da er sich aber nicht blos als Person | ||||||
12 | überhaupt, sondern auch als Mensch, d. i. als eine Person, die Pflichten | ||||||
13 | auf sich hat, die ihm seine eigene Vernunft auferlegt, betrachten muß, so | ||||||
14 | kann seine Geringfähigkeit als Thiermensch dem Bewußtsein seiner | ||||||
15 | würde als Vernunftmensch nicht Abbruch thun, und er soll die moralische | ||||||
16 | Selbstschätzung in Betracht der letzteren nicht verläugnen, d. i. er | ||||||
17 | soll sich um seinen Zweck, der an sich selbst Pflicht ist, nicht kriechend, nicht | ||||||
18 | knechtisch, ( animo servili ), gleich als sich um Gunst bewerbend, bewerben, | ||||||
19 | nicht seine Würde verläugnen, sondern immer mit dem Bewußtsein | ||||||
20 | der Erhabenheit seiner moralischen Anlage (welches im Begriff der Tugend | ||||||
21 | schon enthalten ist), und diese Selbstschätzung ist Pflicht des Menschen | ||||||
22 | gegen sich selbst. | ||||||
23 | Das Bewußtsein und Gefühl der Geringfähigkeit seines moralischen | ||||||
24 | Werths in Vergleichung mit dem Gesetz ist die Demuth ( humilitas | ||||||
25 | moralis ). Die Überredung von einer Größe dieses seines Werths, aber | ||||||
26 | nur aus Mangel der Vergleichung mit dem Gesetz, kann der Tugendstolz | ||||||
27 | ( arrogantia moralis ) genannt werden. - Die Entsagung alles Anspruchs | ||||||
28 | auf irgend einen moralischen Werth seiner selbst in der Überredung, sich | ||||||
29 | eben dadurch einen geborgten zu erwerben, ist die sittlich=falsche Kriecherei | ||||||
30 | ( humilitas spuria ). | ||||||
31 | Demuth in Vergleichung mit anderen Menschen (ja überhaupt | ||||||
32 | mit irgend einem endlichen Wesen, und wenn es auch ein Seraph | ||||||
33 | wäre) ist gar keine Pflicht; vielmehr ist die Bestrebung in diesem Verhältnisse | ||||||
34 | andern gleich zu kommen oder sie zu übertreffen mit der Überredung | ||||||
35 | sich dadurch auch einen inneren größeren Werth zu verschaffen | ||||||
36 | Hochmuth ( ambitio ), welche der Pflicht gegen andere gerade zuwider | ||||||
37 | ist. Aber die blos als Mittel zu Erwerbung der Gunst eines Anderen | ||||||
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