Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 434

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 haben, und beide, die Verschwendung sowohl als die Kargheit, blos darum      
  02 verwerflich zu sein scheinen, weil sie auf Armuth hinaus laufen, bei dem      
  03 einen auf nicht erwartete, bei dem anderen auf willkürliche (armselig leben      
  04 zu wollen), - so ist die Frage: ob sie, die eine sowohl als die andere,      
  05 überhaupt Laster und nicht vielmehr beide bloße Unklugheit genannt werden      
  06 sollen, mithin nicht ganz und gar außerhalb der Grenzen der Pflicht      
  07 gegen sich selbst liegen mögen. Die Kargheit aber ist nicht blos mißverstandene      
  08 Sparsamkeit, sondern sklavische Unterwerfung seiner selbst unter      
  09 die Glücksgüter, ihrer nicht Herr zu sein, welches Verletzung der Pflicht      
  10 gegen sich selbst ist. Sie ist die Liberalität ( liberalitas moralis ) der      
  11 Denkungsart überhaupt (nicht der Freigebigkeit ( liberalitas sumptuosa ),      
  12 welche nur in der Anwendung derselben auf einen besonderen Fall ist), d. i.      
  13 dem Princip der Unabhängigkeit von allem anderen außer von dem Gesetz,      
  14 entgegengesetzt und Defraudation, die das Subject an sich selbst begeht.      
  15 Aber was ist das für ein Gesetz, dessen innerer Gesetzgeber selbst nicht      
  16 weiß, wo es anzuwenden ist? Soll ich meinem Munde abbrechen, oder      
  17 nur dem äußeren Aufwande? im Alter, oder schon in der Jugend? oder      
  18 ist Sparsamkeit überhaupt eine Tugend?      
  19 III      
           
  20
Von der Kriecherei.
     
           
  21
§ 11.
     
           
  22 Der Mensch im System der Natur ( homo phaenomenon, animal      
  23 rationale ) ist ein Wesen von geringer Bedeutung und hat mit den übrigen      
  24 Thieren, als Erzeugnissen des Bodens, einen gemeinen Werth ( pretium      
  25 vulgare ). Selbst, daß er vor diesen den Verstand voraus hat und sich      
  26 selbst Zwecke setzen kann, das gibt ihm doch nur einen äußeren Werth      
  27 seiner Brauchbarkeit ( pretium usus ), nämlich eines Menschen vor dem      
  28 anderen, d. i. ein Preis, als einer Waare, im dem Verkehr mit diesen      
  29 Thieren als Sachen, wo er doch noch einen niedrigern Werth hat, als das      
  30 allgemeine Tauschmittel, das Geld, dessen Werth daher ausgezeichnet      
  31 ( pretium eminens ) genannt wird.      
           
  32 Allein der Mensch, als Person betrachtet, d. i. als Subject einer      
  33 moralisch=praktischen Vernunft, ist über allen Preis erhaben; denn als ein      
  34 solcher ( homo noumenon ) ist er nicht blos als Mittel zu anderer ihren,      
           
     

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