Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 395 |
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01 | Zweck, der zugleich als Pflicht gedacht wird. - Da aber die ethische | ||||||
02 | Verbindlichkeit zu Zwecken, deren es mehrere geben kann, nur eine weite | ||||||
03 | ist, weil sie da blos ein Gesetz für die Maxime der Handlungen enthält | ||||||
04 | und der Zweck die Materie (Object) der Willkür ist, so giebt es viele nach | ||||||
05 | Verschiedenheit des gesetzlichen Zwecks verschiedene Pflichten, welche Tugendpflichten | ||||||
06 | ( officia honestatis ) genannt werden; eben darum weil sie | ||||||
07 | blos dem freien Selbstzwange, nicht dem anderer Menschen unterworfen | ||||||
08 | sind und die den Zweck bestimmen, der zugleich Pflicht ist. | ||||||
09 | Die Tugend, als die in der festen Gesinnung gegründete Übereinstimmung | ||||||
10 | des Willens mit jeder Pflicht, ist wie alles Formale blos eine | ||||||
11 | und dieselbe. Aber in Ansehung des Zwecks der Handlungen, der zugleich | ||||||
12 | Pflicht ist, d. i. desjenigen (des Materiale), was man sich zum | ||||||
13 | Zwecke machen soll, kann es mehr Tugenden geben, und die Verbindlichkeit | ||||||
14 | zu der Maxime desselben heißt Tugendpflicht, deren es also viele giebt. | ||||||
15 | Das oberste Princip der Tugendlehre ist: handle nach einer Maxime | ||||||
16 | der Zwecke, die zu haben für jedermann ein allgemeines Gesetz sein kann. | ||||||
17 | - Nach diesem Princip ist der Mensch sowohl sich selbst als Andern Zweck, | ||||||
18 | und es ist nicht genug, daß er weder sich selbst noch andere blos als Mittel | ||||||
19 | zu brauchen befugt ist (dabei er doch gegen sie auch indifferent sein kann), | ||||||
20 | sondern den Menschen überhaupt sich zum Zwecke zu machen ist an sich | ||||||
21 | selbst des Menschen Pflicht. | ||||||
22 | Dieser Grundsatz der Tugendlehre verstattet, als ein kategorischer | ||||||
23 | Imperativ, keinen Beweis, aber wohl eine Deduction aus der reinen | ||||||
24 | praktischen Vernunft. - Was im Verhältniß der Menschen zu sich selbst | ||||||
25 | und anderen Zweck sein kann, das ist Zweck vor der reinen praktischen | ||||||
26 | Vernunft; denn sie ist ein Vermögen der Zwecke überhaupt, in Ansehung | ||||||
27 | derselben indifferent sein, d. i. kein Interesse daran zu nehmen, ist also | ||||||
28 | ein Widerspruch: weil sie alsdann auch nicht die Maximen zu Handlungen | ||||||
29 | (als welche letztere jederzeit einen Zweck enthalten) bestimmen, mithin keine | ||||||
30 | praktische Vernunft sein würde. Die reine Vernunft aber kann a priori | ||||||
31 | keine Zwecke gebieten, als nur so fern sie solche zugleich als Pflicht ankündigt; | ||||||
32 | welche Pflicht alsdann Tugendpflicht heißt. | ||||||
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