Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 369 |
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| 01 | der Kirche werden sollen, und der Staat an diesem oder jenem | ||||||
| 02 | Theil, oder gar ganz sich der Kirche lehnspflichtig macht, um durch Gebete, | ||||||
| 03 | Ablässe und Büßungen, durch welche die dazu bestellten Diener derselben | ||||||
| 04 | (die Geistlichen) das Loos in der anderen Welt ihnen vortheilhaft | ||||||
| 05 | zu machen verheißen: so ist eine solche vermeintlich auf ewige Zeiten gemachte | ||||||
| 06 | Stiftung keineswegs auf ewig begründet, sondern der Staat kann | ||||||
| 07 | diese Last, die ihm von der Kirche aufgelegt worden, abwerfen, wenn er | ||||||
| 08 | will. - Denn die Kirche selbst ist als ein bloß auf Glauben errichtetes | ||||||
| 09 | Institut, und wenn die Täuschung aus dieser Meinung durch Volksaufklärung | ||||||
| 10 | verschwunden ist, so fällt auch die darauf gegründete furchtbare | ||||||
| 11 | Gewalt des Klerus weg, und der Staat bemächtigt sich mit vollem Rechte | ||||||
| 12 | des angemaßten Eigenthums der Kirche: nämlich des durch Vermächtnisse | ||||||
| 13 | an sie verschenkten Bodens; wiewohl die Lehnsträger des bis dahin | ||||||
| 14 | bestandenen Instituts für ihre Lebenszeit schadenfrei gehalten zu werden | ||||||
| 15 | aus ihrem Rechte fordern können. | ||||||
| 16 | Selbst Stiftungen zu ewigen Zeiten für Arme, oder Schulanstalten, | ||||||
| 17 | sobald sie einen gewissen, von dem Stifter nach seiner Idee bestimmten | ||||||
| 18 | entworfenen Zuschnitt haben, können nicht auf ewige Zeiten fundirt und | ||||||
| 19 | der Boden damit belästigt werden; sondern der Staat muß die Freiheit | ||||||
| 20 | haben, sie nach dem Bedürfnisse der Zeit einzurichten. - Daß es schwerer | ||||||
| 21 | hält, diese Idee allerwärts auszuführen (z. B. die Pauperbursche die Unzulänglichkeit | ||||||
| 22 | des wohlthätig errichteten Schulfonds durch bettelhaftes | ||||||
| 23 | Singen ergänzen zu müssen), darf niemanden wundern; denn der, welcher | ||||||
| 24 | gutmüthiger=, aber doch zugleich etwas ehrbegierigerweise eine Stiftung | ||||||
| 25 | macht, will, daß sie nicht ein anderer nach seinen Begriffen umändere, | ||||||
| 26 | sondern Er darin unsterblich sei. Das ändert aber nicht die Beschaffenheit | ||||||
| 27 | der Sache selbst und das Recht des Staats, ja die Pflicht desselben | ||||||
| 28 | zum Umändern einer jeden Stiftung, wenn sie der Erhaltung und dem | ||||||
| 29 | Fortschreiten desselben zum Besseren entgegen ist, kann daher niemals als | ||||||
| 30 | auf ewig begründet betrachtet werden. | ||||||
| 31 | C. | ||||||
| 32 | Der Adel eines Landes, das selbst nicht unter einer aristokratischen, | ||||||
| 33 | sondern monarchischen Verfassung steht, mag immer ein für ein gewisses | ||||||
| 34 | Zeitalter erlaubtes und den Umständen nach nothwendiges Institut sein; | ||||||
| 35 | aber daß dieser Stand auf ewig könne begründet werden, und ein Staatsoberhaupt | ||||||
| 36 | nicht solle die Befugniß haben, diesen Standesvorzug gänzlich | ||||||
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