Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 368 |
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01 | B. | ||||||
02 | Die Geistlichkeit, welche sich fleischlich nicht fortpflanzt, (die katholische) | ||||||
03 | besitzt mit Begünstigung des Staats Ländereien und daran haftende | ||||||
04 | Unterthanen, die einem geistlichen Staate (Kirche genannt) angehören, | ||||||
05 | welchem die Weltliche durch Vermächtniß zum Heil ihrer Seelen sich als ihr | ||||||
06 | Eigenthum hingegeben haben, und so hat der Klerus als ein besonderer | ||||||
07 | Stand einen Besitzthum, der sich von einem Zeitalter zum anderen gesetzmäßig | ||||||
08 | vererben läßt und durch päpstliche Bullen hinreichend documentirt | ||||||
09 | ist. - Kann man nun wohl annehmen, daß dieses Verhältniß derselben | ||||||
10 | zu den Laien durch die Machtvollkommenheit des weltlichen Staats geradezu | ||||||
11 | den ersteren könne genommen werden, und würde das nicht so viel sein, | ||||||
12 | als jemanden mit Gewalt das Seine nehmen; wie es doch von Ungläubigen | ||||||
13 | der französischen Republik versucht wird? | ||||||
14 | Die Frage ist hier: ob die Kirche dem Staat oder der Staat der | ||||||
15 | Kirche als das Seine angehören könne; denn zwei oberste Gewalten können | ||||||
16 | einander ohne Widerspruch nicht untergeordnet sein. - Daß nur die | ||||||
17 | erstere Verfassung ( politico-hierarchica ) Bestand an sich haben könne, | ||||||
18 | ist an sich klar: denn alle bürgerliche Verfassung ist von dieser Welt, weil | ||||||
19 | sie eine irdische Gewalt (der Menschen) ist, die sich sammt ihren Folgen | ||||||
20 | in der Erfahrung documentiren läßt. Die Gläubigen, deren Reich im | ||||||
21 | Himmel und in jener Welt ist, müssen, in so fern man ihnen eine sich | ||||||
22 | auf dieses beziehende Verfassung ( hierarchico-politica ) zugesteht, sich den | ||||||
23 | Leiden dieser Zeit unter der Obergewalt der Weltmenschen unterwerfen. | ||||||
24 | - Also findet nur die erstere Verfassung statt. | ||||||
25 | Religion (in der Erscheinung), als Glaube an die Satzungen der | ||||||
26 | Kirche und die Macht der Priester als Aristokraten einer solchen Verfassung, | ||||||
27 | oder auch, wenn diese monarchisch (päpstlich) ist, kann von keiner | ||||||
28 | staatsbürgerlichen Gewalt dem Volke weder aufgedrungen, noch genommen | ||||||
29 | werden, noch auch (wie es wohl in Großbritannien mit der irländischen | ||||||
30 | Nation gehalten wird) der Staatsbürger wegen einer von des Hofes seiner | ||||||
31 | unterschiedenen Religion von den Staatsdiensten und den Vortheilen, die | ||||||
32 | ihm dadurch erwachsen, ausgeschlossen werden. | ||||||
33 | Wenn nun gewisse andächtige und gläubige Seelen, um der Gnade | ||||||
34 | theilhaftig zu werden, welche die Kirche den Gläubigen auch nach dieser | ||||||
35 | ihrem Tode zu erzeigen verspricht, eine Stiftung auf ewige Zeiten errichten, | ||||||
36 | durch welche gewisse Ländereien derselben nach ihrem Tode ein Eigenthum | ||||||
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