Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 367 |
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04 | Stiftung ( sanctio testamentaria beneficii perpetui ) ist die freiwillige, | ||||||
05 | durch den Staat bestätigte, für gewisse auf einander folgende | ||||||
06 | Glieder desselben bis zu ihrem gänzlichen Aussterben errichtete wohlthätige | ||||||
07 | Anstalt. - Sie heißt ewig, wenn die Verordnung zu Erhaltung derselben | ||||||
08 | mit der Constitution des Staats selbst vereinigt ist (denn der Staat mu | ||||||
09 | für ewig angesehen werden); ihre Wohlthätigkeit aber ist entweder für das | ||||||
10 | Volk überhaupt, oder für einen nach gewissen besonderen Grundsätzen vereinigten | ||||||
11 | Theil desselben, einen Stand, oder für eine Familie und die | ||||||
12 | ewige Fortdauer ihrer Descendenten abgezweckt. Ein Beispiel vom ersteren | ||||||
13 | sind die Hospitäler, vom zweiten die Kirchen, vom dritten die Orden | ||||||
14 | (geistliche und weltliche), vom vierten die Majorate. | ||||||
15 | Von diesen Corporationen und ihrem Rechte zu succediren sagt man | ||||||
16 | nun, sie können nicht aufgehoben werden: weil es durch Vermächtni | ||||||
17 | zum Eigenthum des eingesetzten Erben geworden sei, und eine solche Verfassung | ||||||
18 | ( corpus mysticum ) aufzuheben so viel heiße, als jemanden das | ||||||
19 | Seine nehmen. | ||||||
20 | A. | ||||||
21 | Die wohlthätige Anstalt für Arme, Invalide und Kranke, welche auf | ||||||
22 | dem Staatsvermögen fundirt worden, (in Stiften und Hospitälern) ist | ||||||
23 | allerdings unablöslich. Wenn aber nicht der Buchstabe, sondern der Sinn | ||||||
24 | des Willens des Testators den Vorzug haben soll, so können sich wohl | ||||||
25 | Zeitumstände ereignen, welche die Aufhebung einer solchen Stiftung | ||||||
26 | wenigstens ihrer Form nach anräthig machen. - So hat man gefunden: | ||||||
27 | daß der Arme und Kranke (den vom Narrenhospital ausgenommen) besser | ||||||
28 | und wohlfeiler versorgt werde, wenn ihm die Beihülfe in einer gewissen | ||||||
29 | (dem Bedürfnisse der Zeit proportionirten) Geldsumme, wofür er sich, wo | ||||||
30 | er will, bei seinen Verwandten oder sonst Bekannten, einmiethen kann, | ||||||
31 | gereicht wird, als wenn - wie im Hospital von Greenwich - prächtige | ||||||
32 | und dennoch die Freiheit sehr beschränkende, mit einem kostbaren Personale | ||||||
33 | versehene Anstalten dazu getroffen werden. - Da kann man nun | ||||||
34 | nicht sagen, der Staat nehme dem zum Genuß dieser Stiftung berechtigten | ||||||
35 | Volke das Seine, sondern er befördert es vielmehr, indem er weisere | ||||||
36 | Mittel zur Erhaltung desselben wählt. | ||||||
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