Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 353 |
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01 | kann, deren Besuchung gleichwohl, noch mehr aber die Niederlassung auf | ||||||
02 | denselben, um sie mit dem Mutterlande zu verknüpfen, zugleich die Veranlassung | ||||||
03 | dazu giebt, daß Übel und Gewaltthätigkeit an einem Orte unseres | ||||||
04 | Globs an allen gefühlt wird. Dieser mögliche Mißbrauch kann aber das | ||||||
05 | Recht des Erdbürgers nicht aufheben, die Gemeinschaft mit allen zu versuchen | ||||||
06 | und zu diesem Zweck alle Gegenden der Erde zu besuchen, wenn | ||||||
07 | es gleich nicht ein Recht der Ansiedelung auf dem Boden eines anderen | ||||||
08 | Volks ( ius incolatus ) ist, als zu welchem ein besonderer Vertrag erfordert | ||||||
09 | wird. | ||||||
10 | Es frägt sich aber: ob ein Volk in neuentdeckten Ländern eine Anwohnung | ||||||
11 | ( accolatus ) und Besitznehmung in der Nachbarschaft eines | ||||||
12 | Volks, das in einem solchen Landstriche schon Platz genommen hat, auch | ||||||
13 | ohne seine Einwilligung unternehmen dürfe. | ||||||
14 | Wenn Anbauung in solcher Entlegenheit vom Sitz des ersteren geschieht, | ||||||
15 | daß keines derselben im Gebrauch seines Bodens dem anderen | ||||||
16 | Eintrag thut, so ist das Recht dazu nicht zu bezweifeln; wenn es aber | ||||||
17 | Hirten= oder Jagdvölker sind (wie die Hottentotten, Tungusen und die | ||||||
18 | meisten amerikanischen Nationen), deren Unterhalt von großen öden Landstrecken | ||||||
19 | abhängt, so würde dies nicht mit Gewalt, sondern nur durch Vertrag, | ||||||
20 | und selbst dieser nicht mit Benutzung der Unwissenheit jener Einwohner | ||||||
21 | in Ansehung der Abtretung solcher Ländereien geschehen können; | ||||||
22 | obzwar die Rechtfertigungsgründe scheinbar genug sind, daß eine solche | ||||||
23 | Gewaltthätigkeit zum Weltbesten gereiche; theils durch Cultur roher | ||||||
24 | Völker (wie der Vorwand, durch den selbst Büsching die blutige Einführung | ||||||
25 | der christlichen Religion in Deutschland entschuldigen will), theils | ||||||
26 | zur Reinigung seines eigenen Landes von verderbten Menschen und gehoffter | ||||||
27 | Besserung derselben oder ihrer Nachkommenschaft in einem anderen | ||||||
28 | Welttheile (wie in Neuholland); denn alle diese vermeintlich gute Absichten | ||||||
29 | können doch den Flecken der Ungerechtigkeit in den dazu gebrauchten | ||||||
30 | Mitteln nicht abwaschen. - Wendet man hiegegen ein: daß bei solcher | ||||||
31 | Bedenklichkeit, mit der Gewalt den Anfang zu Gründung eines gesetzlichen | ||||||
32 | Zustandes zu machen, vielleicht die ganze Erde noch in gesetzlosem | ||||||
33 | Zustande sein würde: so kann das eben so wenig jene Rechtsbedingung | ||||||
34 | aufheben, als der Vorwand der Staatsrevolutionisten, daß es auch, wenn | ||||||
35 | Verfassungen verunartet sind, dem Volk zustehe, sie mit Gewalt umzuformen | ||||||
36 | und überhaupt einmal für allemal ungerecht zu sein, um nachher | ||||||
37 | die Gerechtigkeit desto sicherer zu gründen und aufblühen zu machen. | ||||||
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