Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 330

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Verbrechen darum gebracht hat, da er dann zwar im Leben erhalten,      
  02 aber zum bloßen Werkzeuge der Willkür eines Anderen (entweder des      
  03 Staats, oder eines anderen Staatsbürgers) gemacht wird. Wer nun das      
  04 letztere ist (was er aber nur durch Urtheil und Recht werden kann), ist ein      
  05 Leibeigner ( servus in sensu stricto ) und gehört zum Eigenthum      
  06 ( dominium ) eines Anderen, der daher nicht bloß sein Herr ( herus ), sondern      
  07 auch sein Eigenthümer ( dominus ) ist, der ihn als eine Sache veräußern      
  08 und nach Belieben (nur nicht zu schandbaren Zwecken) brauchen      
  09 und über seine Kräfte, wenn gleich nicht über sein Leben und Gliedmaßen      
  10 verfügen (disponiren) kann. Durch einen Vertrag kann sich      
  11 niemand zu einer solchen Abhängigkeit verbinden, dadurch er aufhört,      
  12 eine Person zu sein; denn nur als Person kann er einen Vertrag machen.      
  13 Nun scheint es zwar, ein Mensch könne sich zu gewissen, der Qualität nach      
  14 erlaubten, dem Grad nach aber unbestimmten Diensten gegen einen      
  15 Andern (für Lohn, Kost oder Schutz) verpflichten durch einen Verdingungsvertrag      
  16 ( locatio conductio ), und er werde dadurch bloß Unterthan ( subiectus ),      
  17 nicht Leibeigner ( servus ); allein das ist nur ein falscher Schein.      
  18 Denn wenn sein Herr befugt ist, die Kräfte seines Unterthans nach Belieben      
  19 zu benutzen, so kann er sie auch (wie es mit den Negern auf den Zuckerinseln      
  20 der Fall ist) erschöpfen bis zum Tode oder der Verzweiflung, und      
  21 jener hat sich seinem Herrn wirklich als Eigenthum weggegeben; welches      
  22 unmöglich ist. - Er kann sich also nur zu der Qualität und dem Grade      
  23 nach bestimmten Arbeiten verdingen: entweder als Tagelöhner, oder ansässiger      
  24 Unterthan; im letzteren Fall, daß er theils für den Gebrauch des      
  25 Bodens seines Herrn statt des Tagelohns Dienste auf demselben Boden,      
  26 theils für die eigene Benutzung desselben bestimmte Abgaben (einen Zins)      
  27 nach einem Pachtvertrage leistet, ohne sich dabei zum Gutsunterthan      
  28 ( glebae adscriptus ) zu machen, als wodurch er seine Persönlichkeit einbüßen      
  29 würde, mithin eine Zeit= oder Erbpacht gründen kann. Er mag      
  30 nun aber auch durch sein Verbrechen ein persönlicher Unterthan geworden      
  31 sein, so kann diese Unterthänigkeit ihm doch nicht anerben, weil      
  32 er sie sich nur durch seine eigene Schuld zugezogen hat, und eben so wenig      
  33 kann der von einem Leibeigenen Erzeugte wegen der Erziehungskosten, die      
  34 er gemacht hat, in Anspruch genommen werden, weil Erziehung eine absolute      
  35 Naturpflicht der Eltern und, im Falle daß diese Leibeigene waren,      
  36 der Herren ist, welche mit dem Besitz ihrer Unterthanen auch die Pflichten      
  37 derselben übernommen haben.      
           
           
     

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