Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 327 |
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| 01 | vermögende Ledige verstanden werden), als solche, die daran doch | ||||||
| 02 | zum Theil Schuld sind, vermittelst dazu errichteter Findelhäuser, oder auf | ||||||
| 03 | andere Art mit Recht geschehen könne (ein anderes Mittel es zu verhüten | ||||||
| 04 | möchte es aber schwerlich geben), ist eine Aufgabe, deren Lösung, ohne | ||||||
| 05 | entweder wider das Recht, oder die Moralität zu verstoßen, bisher noch | ||||||
| 06 | nicht gelungen ist. | ||||||
| 07 | Da auch das Kirchenwesen, welches von der Religion als innerer | ||||||
| 08 | Gesinnung, die ganz außer dem Wirkungskreise der bürgerlichen Macht ist, | ||||||
| 09 | sorgfältig unterschieden werden muß (als Anstalt zum öffentlichen Gottesdienst | ||||||
| 10 | für das Volk, aus welchem dieser auch seinen Ursprung hat, es sei | ||||||
| 11 | Meinung oder Überzeugung), ein wahres Staatsbedürfniß wird, sich auch | ||||||
| 12 | als Unterthanen einer höchsten unsichtbaren Macht, der sie huldigen | ||||||
| 13 | müssen, und die mit der bürgerlichen oft in einen sehr ungleichen Streit | ||||||
| 14 | kommen kann, zu betrachten: so hat der Staat das Recht, nicht etwa der | ||||||
| 15 | inneren Constitutionalgesetzgebung, das Kirchenwesen nach seinem Sinne, | ||||||
| 16 | wie es ihm vortheilhaft dünkt, einzurichten, den Glauben und gottesdienstliche | ||||||
| 17 | Formen ( ritus ) dem Volk vorzuschreiben oder zu befehlen (denn | ||||||
| 18 | dieses muß gänzlich den Lehrern und Vorstehern, die es sich selbst gewählt | ||||||
| 19 | hat, überlassen bleiben), sondern nur das negative Recht den Einfluß | ||||||
| 20 | der öffentlichen Lehrer auf das sichtbare, politische gemeine Wesen, der | ||||||
| 21 | der öffentlichen Ruhe nachtheilig sein möchte, abzuhalten, mithin bei dem | ||||||
| 22 | inneren Streit, oder dem der verschiedenen Kirchen unter einander die | ||||||
| 23 | bürgerliche Eintracht nicht in Gefahr kommen zu lassen, welches also ein | ||||||
| 24 | Recht der Polizei ist. Daß eine Kirche einen gewissen Glauben und | ||||||
| 25 | welchen sie haben, oder daß sie ihn unabänderlich erhalten müsse und sich | ||||||
| 26 | nicht selbst reformiren dürfe, sind Einmischungen der obrigkeitlichen Gewalt, | ||||||
| 27 | die unter ihrer Würde sind: weil sie sich dabei, als einem Schulgezänke, | ||||||
| 28 | auf den Fuß der Gleichheit mit ihren Unterthanen einläßt (der | ||||||
| 29 | Monarch sich zum Priester macht), die ihr geradezu sagen können, daß sie | ||||||
| 30 | hievon nichts verstehe; vornehmlich was das letztere, nämlich das Verbot | ||||||
| 31 | innerer Reformen, betrifft; - denn was das gesammte Volk nicht über sich | ||||||
| 32 | selbst beschließen kann, das kann auch der Gesetzgeber nicht über das Volk | ||||||
| 33 | beschließen. Nun kann aber kein Volk beschließen, in seinen den Glauben | ||||||
| 34 | betreffenden Einsichten (der Aufklärung) niemals weiter fortzuschreiten, | ||||||
| 35 | mithin auch sich in Ansehung des Kirchenwesens nie zu reformieren: weil | ||||||
| 36 | dies der Menschheit in seiner eigenen Person, mithin dem höchsten Recht | ||||||
| 37 | desselben entgegen sein würde. Also kann es auch keine obrigkeitliche Gewalt | ||||||
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