Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 326 |
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01 | eigenen Erhaltung zu belasten, als da sind: das Armenwesen, die | ||||||
02 | Findelhäuser und das Kirchenwesen, sonst milde oder fromme | ||||||
03 | Stiftungen genannt. | ||||||
04 | Der allgemeine Volkswille hat sich nämlich zu einer Gesellschaft vereinigt, | ||||||
05 | welche sich immerwährend erhalten soll, und zu dem Ende sich der | ||||||
06 | inneren Staatsgewalt unterworfen, um die Glieder dieser Gesellschaft, die | ||||||
07 | es selbst nicht vermögen, zu erhalten. Von Staatswegen ist also die Regierung | ||||||
08 | berechtigt, die Vermögenden zu nöthigen, die Mittel der Erhaltung | ||||||
09 | derjenigen, die es selbst den nothwendigsten Naturbedürfnissen nach nicht | ||||||
10 | sind, herbei zu schaffen: weil ihre Existenz zugleich als Act der Unterwerfung | ||||||
11 | unter den Schutz und die zu ihrem Dasein nöthige Vorsorge des | ||||||
12 | gemeinen Wesens ist, wozu sie sich verbindlich gemacht haben, auf welche | ||||||
13 | der Staat nun sein Recht gründet, zur Erhaltung ihrer Mitbürger das | ||||||
14 | Ihrige beizutragen. Das kann nun geschehen: durch Belastung des Eigenthums | ||||||
15 | der Staatsbürger, oder ihres Handelsverkehrs, oder durch errichtete | ||||||
16 | Fonds und deren Zinsen; nicht zu Staats= (denn der ist reich), sondern | ||||||
17 | zu Volksbedürfnissen, aber nicht bloß durch freiwillige Beiträge (weil | ||||||
18 | hier nur vom Rechte des Staats gegen das Volk die Rede ist), worunter | ||||||
19 | einige gewinnsüchtige sind (als Lotterien, die mehr Arme und dem öffentlichen | ||||||
20 | Eigenthum gefährliche machen, als sonst sein würden, und die also | ||||||
21 | nicht erlaubt sein sollten), sondern zwangsmäßig, als Staatslasten. Hier | ||||||
22 | frägt sich nun: ob die Versorgung der Armen durch laufende Beiträge, | ||||||
23 | so daß jedes Zeitalter die Seinigen ernährt, oder durch nach und nach gesammelte | ||||||
24 | Bestände und überhaupt fromme Stiftungen (dergleichen | ||||||
25 | Wittwenhäuser, Hospitäler u. dergl. sind) und zwar jenes nicht durch Bettelei, | ||||||
26 | welche mit der Räuberei nahe verwandt ist, sondern durch gesetzliche | ||||||
27 | Auflage ausgerichtet werden soll. - Die erstere Anordnung muß für die | ||||||
28 | einzige dem Rechte des Staats angemessene, der sich niemand entziehen | ||||||
29 | kann, der zu leben hat, gehalten werden: weil sie nicht (wie von frommen | ||||||
30 | Stiftungen zu besorgen ist), wenn sie mit der Zahl der Armen anwachsen, | ||||||
31 | das Armsein zum Erwerbmittel für faule Menschen machen und so eine | ||||||
32 | ungerechte Belästigung des Volks durch die Regierung sein würden. | ||||||
33 | Was die Erhaltung der aus Noth oder Scham ausgesetzten, oder wohl | ||||||
34 | gar darum ermordeten Kinder betrifft, so hat der Staat ein Recht, das Volk | ||||||
35 | mit der Pflicht zu belasten, diesen, obzwar unwillkommenen Zuwachs des | ||||||
36 | Staatsvermögens nicht wissentlich umkommen zu lassen. Ob dieses aber | ||||||
37 | durch Besteurung der Hagestolzen beiderlei Geschlechts (worunter die | ||||||
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