Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 283 |
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01 | einer anderen Form der Verpflichtung, nämlich als Verknüpfung des | ||||||
02 | Hausherren mit dem Gesinde (den Dienern oder Dienerinnen des Hauses), | ||||||
03 | mithin eben diese häusliche Gesellschaft, aber jetzt als hausherrliche | ||||||
04 | ( societas herilis ) erhalten, durch einen Vertrag, durch den der erstere mit | ||||||
05 | den mündig gewordenen Kindern, oder, wenn die Familie keine Kinder | ||||||
06 | hat, mit anderen freien Personen (der Hausgenossenschaft) eine häusliche | ||||||
07 | Gesellschaft stiften, welche eine ungleiche Gesellschaft (des Gebietenden | ||||||
08 | oder der Herrschaft und der Gehorchenden, d. i. der Dienerschaft, imperantis | ||||||
09 | et subiecti domestici ) sein würde. | ||||||
10 | Das Gesinde gehört nun zu dem Seinen des Hausherrn und zwar, | ||||||
11 | was die Form (den Besitzstand) betrifft, gleich als nach einem Sachenrecht; | ||||||
12 | denn der Hausherr kann, wenn es ihm entläuft, es durch einseitige | ||||||
13 | Willkür in seine Gewalt bringen; was aber die Materie betrifft, d. i. | ||||||
14 | welchen Gebrauch er von diesen seinen Hausgenossen machen kann, so | ||||||
15 | kann er sich nie als Eigenthümer desselben ( dominus servi ) betragen: | ||||||
16 | weil er nur durch Vertrag unter seine Gewalt gebracht ist, ein Vertrag | ||||||
17 | aber, durch den ein Theil zum Vortheil des anderen auf seine ganze | ||||||
18 | Freiheit Verzicht thut, mithin aufhört, eine Person zu sein, folglich auch | ||||||
19 | keine Pflicht hat, einen Vertrag zu halten, sondern nur Gewalt anerkennt, | ||||||
20 | in sich selbst widersprechend, d. i. null und nichtig, ist. (Von dem Eigenthumsrecht | ||||||
21 | gegen den, der sich durch ein Verbrechen seiner Persönlichkeit | ||||||
22 | verlustig gemacht hat, ist hier nicht die Rede.) | ||||||
23 | Dieser Vertrag also der Hausherrschaft mit dem Gesinde kann nicht | ||||||
24 | von solcher Beschaffenheit sein, daß der Gebrauch desselben ein Verbrauch | ||||||
25 | sein würde, worüber das Urtheil aber nicht bloß dem Hausherrn, | ||||||
26 | sondern auch der Dienerschaft (die also nie Leibeigenschaft sein kann) zukommt; | ||||||
27 | kann also nicht auf lebenslängliche, sondern allenfalls nur auf | ||||||
28 | unbestimmte Zeit, binnen der ein Theil dem anderen die Verbindung aufkündigen | ||||||
29 | darf, geschlossen werden. Die Kinder aber (selbst die eines durch | ||||||
30 | sein Verbrechen zum Sklaven Gewordenen) sind jederzeit frei. Denn frei | ||||||
31 | geboren ist jeder Mensch, weil er noch nichts verbrochen hat, und die | ||||||
32 | Kosten der Erziehung bis zu seiner Volljährigkeit können ihm auch nicht | ||||||
33 | als eine Schuld angerechnet werden, die er zu tilgen habe. Denn der | ||||||
34 | Sklave müßte, wenn er könnte, seine Kinder auch erziehen, ohne ihnen | ||||||
35 | dafür Kosten zu verrechnen; der Besitzer des Sklaven tritt also bei dieses | ||||||
36 | seinem Unvermögen in die Stelle seiner Verbindlichkeit. | ||||||
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