Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 274

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Gewalt gebracht wird, damit ich sie zu der meinen mache. - Durch den      
  02 Vertrag also erwerbe ich das Versprechen eines Anderen (nicht das Versprochene),      
  03 und doch kommt etwas zu meiner äußeren Habe hinzu; ich bin      
  04 vermögender ( locupletior ) geworden durch Erwerbung einer activen      
  05 Obligation auf die Freiheit und das Vermögen des Anderen. - Dieses      
  06 mein Recht aber ist nur ein persönliches, nämlich gegen eine bestimmte      
  07 physische Person, und zwar auf ihre Causalität (ihre Willkür)      
  08 zu wirken, mir etwas zu leisten, nicht ein Sachenrecht gegen diejenige      
  09 moralische Person, welche nichts anders als die Idee der a priori      
  10 vereinigten Willkür aller ist, und wodurch ich allein ein Recht gegen      
  11 jeden Besitzer derselben erwerben kann; als worin alles Recht in      
  12 einer Sache besteht.      
           
  13 Die Übertragung des Meinen durch Vertrag geschieht nach dem      
  14 Gesetz der Stetigkeit ( lex continui ), d. i. der Besitz des Gegenstandes      
  15 ist während diesem Act keinen Augenblick unterbrochen, denn sonst      
  16 würde ich in diesem Zustande einen Gegenstand als etwas, das keinen      
  17 Besitzer hat ( res vacua ), folglich ursprünglich erwerben; welches      
  18 dem Begriff des Vertrages widerspricht. - Diese Stetigkeit aber      
  19 bringt es mit sich, daß nicht eines von beiden ( promittentis et acceptantis )      
  20 besonderer, sondern ihr vereinigter Wille derjenige ist,      
  21 welcher das Meine auf den Anderen überträgt; also nicht auf die      
  22 Art: daß der Versprechende zuerst seinen Besitz zum Vortheil des      
  23 Anderen verläßt ( derelinquit ), oder seinem Recht entsagt ( renunciat ),      
  24 und der Andere sogleich darin eintritt, oder umgekehrt. Die Translation      
  25 ist also ein Act, in welchem der Gegenstand einen Augenblick      
  26 beiden zusammen angehört, so wie in der parabolischen Bahn eines      
  27 geworfenen Steins dieser im Gipfel derselben einen Augenblick als      
  28 im Steigen und Fallen zugleich begriffen betrachtet werden kann und      
  29 so allererst von der steigenden Bewegung zum Fallen übergeht.      
           
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§ 21.
     
           
  31 Eine Sache wird in einem Vertrage nicht durch Annehmung ( acceptatio )      
  32 des Versprechens, sondern nur durch Übergabe ( traditio ) des      
  33 Versprochenen erworben. Denn alles Versprechen geht auf eine Leistung,      
  34 und wenn das Versprochene eine Sache ist, kann jene nicht anders entrichtet      
           
     

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