Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 275 |
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Text (Kant):
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01 | werden, als durch einen Act, wodurch der Promissar vom Promittenten | ||||||
02 | in den Besitz derselben gesetzt wird, d. i. durch die Übergabe. Vor dieser | ||||||
03 | also und dem Empfang ist die Leistung noch nicht geschehen; die Sache | ||||||
04 | ist von dem Einen zu dem Anderen noch nicht übergegangen, folglich von | ||||||
05 | diesem nicht erworben worden, mithin das Recht aus einem Vertrage nur | ||||||
06 | ein persönliches und wird nur durch die Tradition ein dingliches Recht. | ||||||
07 | Der Vertrag, auf den unmittelbar die Übergabe folgt ( pactum | ||||||
08 | re initum ), schließt alle Zwischenzeit zwischen der Schließung und | ||||||
09 | Vollziehung aus und bedarf keines besonderen noch zu erwartenden | ||||||
10 | Acts, wodurch das Seine des Einen auf den Anderen übertragen | ||||||
11 | wird. Aber wenn zwischen jenen Beiden noch eine (bestimmte oder | ||||||
12 | unbestimmte) Zeit zur Übergabe bewilligt ist, frägt sich: ob die Sache | ||||||
13 | schon vor dieser durch den Vertrag das Seine des Acceptanten geworden | ||||||
14 | und das Recht des Letzteren ein Recht in der Sache sei, oder | ||||||
15 | ob noch ein besonderer Vertrag, der allein die Übergabe betrifft, dazu | ||||||
16 | kommen müsse, mithin das Recht durch die bloße Acceptation nur ein | ||||||
17 | persönliches sei und allererst durch die Übergabe ein Recht in der | ||||||
18 | Sache werde. - Daß es sich hiemit wirklich so, wie das letztere besagt, | ||||||
19 | verhalte, erhellt aus nachfolgendem: | ||||||
20 | Wenn ich einen Vertrag über eine Sache, z. B. über ein Pferd, | ||||||
21 | das ich erwerben will, schließe und nehme es zugleich mit in meinen | ||||||
22 | Stall, oder sonst in meinen physischen Besitz, so ist es mein ( vi pacti | ||||||
23 | re initi ), und mein Recht ist ein Recht in der Sache; lasse ich es | ||||||
24 | aber in den Händen des Verkäufers, ohne mit ihm darüber besonders | ||||||
25 | auszumachen, in wessen physischem Besitz (Inhabung) diese Sache vor | ||||||
26 | meiner Besitznehmung ( apprehensio ), mithin vor dem Wechsel des | ||||||
27 | Besitzes sein solle: so ist dieses Pferd noch nicht mein, und mein Recht, | ||||||
28 | was ich erwerbe, ist nur ein Recht gegen eine bestimmte Person, | ||||||
29 | nämlich den Verkäufer, von ihm in den Besitz gesetzt zu werden | ||||||
30 | ( poscendi traditionem ), als subjective Bedingung der Möglichkeit | ||||||
31 | alles beliebigen Gebrauchs desselben, d. i. mein Recht ist nur ein | ||||||
32 | persönliches Recht, von jenem die Leistung des Versprechens ( praestatio ), | ||||||
33 | mich in den Besitz der Sache zu setzen, zu fordern. Nun kann | ||||||
34 | ich, wenn der Vertrag nicht zugleich die Übergabe (als pactum re | ||||||
35 | initum ) enthält, mithin eine Zeit zwischen dem Abschluß desselben | ||||||
36 | und der Besitznehmung des Erworbenen verläuft, in dieser Zeit nicht | ||||||
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