Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 272

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01
§ 19.
     
           
  02 In jedem Vertrage sind zwei vorbereitende und zwei constituirende      
  03 rechtliche Acte der Willkür; die beiden ersteren (die des Tractirens)      
  04 sind das Angebot ( oblatio ) und die Billigung ( approbatio )      
  05 desselben; die beiden andern (nämlich des Abschließens) sind das      
  06 Versprechen ( promissum ) und die Annehmung ( acceptatio ). - Denn      
  07 ein Anerbieten kann nicht eher ein Versprechen heißen, als wenn ich vorher      
  08 urtheile, das Angebotene ( oblatum ) sei etwas, was dem Promissar      
  09 angenehm sein könne; welches durch die zwei erstern Declarationen angezeigt,      
  10 durch diese allein aber noch nichts erworben wird.      
           
  11 Aber weder durch den besonderen Willen des Promittenten, noch      
  12 den des Promissars (als Acceptanten) geht das Seine des ersteren zu dem      
  13 letzteren über, sondern nur durch den vereinigten Willen beider, mithin      
  14 so fern beider Wille zugleich declarirt wird. Nun ist dies aber durch      
  15 empirische Actus der Declaration, die einander nothwendig in der Zeit      
  16 folgen müssen und niemals zugleich sind, unmöglich. Denn wenn ich      
  17 versprochen habe und der Andere nun acceptiren will, so kann ich während      
  18 der Zwischenzeit (so kurz sie auch sein mag) es mich gereuen lassen, weil      
  19 ich vor der Acceptation noch frei bin; so wie anderseits der Acceptant eben      
  20 darum an seine auf das Versprechen folgende Gegenerklärung auch sich      
  21 nicht für gebunden halten darf. - Die äußern Förmlichkeiten ( solennia )      
  22 bei Schließung des Vertrags [ der Handschlag, oder die Zerbrechung eines      
  23 von beiden Personen angefaßten Strohhalms ( stipula ) ] und alle hin und      
  24 her geschehene Bestätigungen seiner vorherigen Erklärung beweisen vielmehr      
  25 die Verlegenheit der Paciscenten, wie und auf welche Art sie die      
  26 immer nur aufeinander folgenden Erklärungen als in einem Augenblicke      
  27 zugleich existirend vorstellig machen wollen, was ihnen doch nicht gelingt:      
  28 weil es immer nur in der Zeit einander folgende Actus sind, wo, wenn      
  29 der eine Act ist, der andere entweder noch nicht, oder nicht mehr ist.      
           
  30 Aber die transscendentale Deduction des Begriffs der Erwerbung      
  31 durch Vertrag kann allein alle diese Schwierigkeiten heben. In einem      
  32 rechtlichen äußeren Verhältnisse wird meine Besitznehmung der Willkür      
  33 eines Anderen (und so wechselseitig), als Bestimmungsgrund desselben      
  34 zu einer That, zwar erst empirisch durch Erklärung und Gegenerklärung      
  35 der Willkür eines jeden von beiden in der Zeit, als sinnlicher Bedingung      
  36 der Apprehension, gedacht, wo beide rechtliche Acte immer nur auf einander      
           
     

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