Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 266

     
           
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

 

 

 
  01 bewegliche Sache auf dem Boden eines Anderen als das Seine haben      
  02 kann, ist zwar möglich, aber nur durch Vertrag. - Endlich ist die      
  03 Frage: können zwei benachbarte Völker (oder Familien) einander      
  04 widerstehen, eine gewisse Art des Gebrauchs eines Bodens anzunehmen,      
  05 z. B. die Jagdvölker dem Hirtenvolk oder den Ackerleuten,      
  06 oder diese den Pflanzern u. dergl.? Allerdings; denn die Art, wie      
  07 sie sich auf dem Erdboden überhaupt ansässig machen wollen, ist,      
  08 wenn sie sich innerhalb ihrer Gränzen halten, eine Sache des bloßen      
  09 Beliebens ( res merae facultatis ).      
           
  10 Zuletzt kann noch gefragt werden: ob, wenn uns weder die Natur      
  11 noch der Zufall, sondern bloß unser eigener Wille in Nachbarschaft      
  12 mit einem Volk bringt, welches keine Aussicht zu einer bürgerlichen      
  13 Verbindung mit ihm verspricht, wir nicht in der Absicht diese      
  14 zu stiften und diese Menschen (Wilde) in einen rechtlichen Zustand      
  15 zu versetzen (wie etwa die amerikanischen Wilden, die Hottentotten,      
  16 die Neuholländer) befugt sein sollten, allenfalls mit Gewalt, oder      
  17 (welches nicht viel besser ist) durch betrügerischen Kauf Colonien zu      
  18 errichten und so Eigenthümer ihres Bodens zu werden und ohne      
  19 Rücksicht auf ihren ersten Besitz Gebrauch von unserer Überlegenheit      
  20 zu machen; zumal es die Natur selbst (als die das Leere verabscheuet)      
  21 so zu fordern scheint, und große Landstriche in anderen Welttheilen      
  22 an gesitteten Einwohnern sonst menschenleer geblieben wären, die      
  23 jetzt herrlich bevölkert sind, oder gar auf immer bleiben müßten, und      
  24 so der Zweck der Schöpfung vereitelt werden würde. Allein man sieht      
  25 durch diesen Schleier der Ungerechtigkeit (Jesuitism), alle Mittel zu      
  26 guten Zwecken zu billigen, leicht durch; diese Art der Erwerbung des      
  27 Bodens ist also verwerflich.      
           
  28 Die Unbestimmtheit in Ansehung der Quantität sowohl als der      
  29 Qualität des äußeren erwerblichen Objects macht diese Aufgabe (der      
  30 einzigen ursprünglichen äußeren Erwerbung) unter allen zur schwersten      
  31 sie aufzulösen. Irgend eine ursprüngliche Erwerbung des Äußeren      
  32 aber muß es indessen doch geben; denn abgeleitet kann nicht      
  33 alle sein. Daher kann man diese Aufgabe auch nicht als unauflöslich      
  34 und als an sich unmöglich aufgeben. Aber wenn sie auch durch den      
  35 ursprünglichen Vertrag aufgelöset wird, so wird, wenn dieser sich      
  36 nicht aufs ganze menschliche Geschlecht erstreckt, die Erwerbung doch      
  37 immer nur provisorisch bleiben.      
           
           
     

[ Seite 265 ] [ Seite 267 ] [ Inhaltsverzeichnis ]