Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 265

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Es ist die Frage: wie weit erstreckt sich die Befugniß der Besitznehmung      
  02 eines Bodens? So weit, als das Vermögen ihn in seiner      
  03 Gewalt zu haben, d. i. als der, so ihn sich zueignen will, ihn vertheidigen      
  04 kann; gleich als ob der Boden spräche: wenn ihr mich nicht      
  05 beschützen könnt, so könnt ihr mir auch nicht gebieten. Darnach      
  06 müßte also auch der Streit über das freie oder verschlossene Meer      
  07 entschieden werden; z. B. innerhalb der Weite, wohin die Kanonen      
  08 reichen, darf niemand an der Küste eines Landes, das schon einem      
  09 gewissen Staat zugehört, fischen, Bernstein aus dem Grunde der      
  10 See holen u. dergl. - Ferner: ist die Bearbeitung des Bodens (Bebauung,      
  11 Beackerung, Entwässerung u. dergl.) zur Erwerbung desselben      
  12 nothwendig? Nein! denn da diese Formen (der Specificirung)      
  13 nur Accidenzen sind, so machen sie kein Object eines unmittelbaren      
  14 Besitzes aus und können zu dem des Subjects nur gehören, so fern      
  15 die Substanz vorher als das Seine desselben anerkannt ist. Die Bearbeitung      
  16 ist, wenn es auf die Frage von der ersten Erwerbung ankommt,      
  17 nichts weiter als ein äußeres Zeichen der Besitznehmung,      
  18 welches man durch viele andere, die weniger Mühe kosten, ersetzen      
  19 kann. - Ferner: darf man wohl jemanden in dem Act seiner Besitznehmung      
  20 hindern, so daß keiner von beiden des Rechts der Priorität      
  21 theilhaftig werde, und so der Boden immer als keinem angehörig      
  22 frei bleibe? Gänzlich kann diese Hinderung nicht statt finden, weil      
  23 der Andere, um dieses thun zu können, sich doch auch selbst auf irgend      
  24 einem benachbarten Boden befinden muß, wo er also selbst behindert      
  25 werden kann zu sein, mithin eine absolute Verhinderung ein Widerspruch      
  26 wäre; aber respectiv auf einen gewissen (zwischenliegenden)      
  27 Boden, diesen als neutral zur Scheidung zweier benachbarten unbenutzt      
  28 liegen zu lassen, würde doch mit dem Rechte der Bemächtigung      
  29 zusammen bestehen; aber alsdann gehört wirklich dieser Boden      
  30 Beiden gemeinschaftlich und ist nicht herrenlos ( res nullius ) eben      
  31 darum, weil er von beiden dazu gebraucht wird, um sie von einander      
  32 zu scheiden. - Ferner kann man auf einem Boden, davon kein      
  33 Theil das Seine von jemanden ist, doch eine Sache als die seine      
  34 haben? Ja, wie in der Mongolei jeder sein Gepäck, was er hat, liegen      
  35 lassen, oder sein Pferd, was ihm entlaufen ist, als das Seine in      
  36 seinen Besitz bringen kann, weil der ganze Boden dem Volk, der Gebrauch      
  37 desselben also jedem einzelnen zusteht; daß aber jemand eine      
           
     

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