Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 264 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
| 01 |
|
||||||
| 02 |
|
||||||
| 03 |
|
||||||
| 04 |
|
||||||
| 05 | Die bürgerliche Verfassung, obzwar ihre Wirklichkeit subjectiv zufällig | ||||||
| 06 | ist, ist gleichwohl objectiv, d. i. als Pflicht, nothwendig. Mithin giebt es | ||||||
| 07 | in Hinsicht auf dieselbe und ihre Stiftung ein wirkliches Rechtsgesetz der | ||||||
| 08 | Natur, dem alle äußere Erwerbung unterworfen ist. | ||||||
| 09 | Der empirische Titel der Erwerbung war die auf ursprüngliche | ||||||
| 10 | Gemeinschaft des Bodens gegründete physische Besitznehmung ( apprehensio | ||||||
| 11 | physica ), welchem, weil dem Besitz nach Vernunftbegriffen des | ||||||
| 12 | Rechts nur ein Besitz in der Erscheinung untergelegt werden kann, der | ||||||
| 13 | einer intellectuellen Besitznehmung (mit Weglassung aller empirischen | ||||||
| 14 | Bedingungen in Raum und Zeit) correspondiren muß, und die den Satz | ||||||
| 15 | gründet: "Was ich nach Gesetzen der äußeren Freiheit in meine Gewalt | ||||||
| 16 | bringe und will, es solle mein sein, das wird mein." | ||||||
| 17 | Der Vernunfttitel der Erwerbung aber kann nur in der Idee | ||||||
| 18 | eines a priori vereinigten (nothwendig zu vereinigenden) Willens Aller | ||||||
| 19 | liegen, welche hier als unumgängliche Bedingung ( conditio sine qua non ) | ||||||
| 20 | stillschweigend vorausgesetzt wird; denn durch einseitigen Willen kann | ||||||
| 21 | Anderen eine Verbindlichkeit, die sie für sich sonst nicht haben würden, | ||||||
| 22 | nicht auferlegt werden. - Der Zustand aber eines zur Gesetzgebung allgemein | ||||||
| 23 | wirklich vereinigten Willens ist der bürgerliche Zustand. Also nur | ||||||
| 24 | in Conformität mit der Idee eines bürgerlichen Zustandes, d. i. in Hinsicht | ||||||
| 25 | auf ihn und seine Bewirkung, aber vor der Wirklichkeit desselben | ||||||
| 26 | (denn sonst wäre die Erwerbung abgeleitet), mithin nur provisorisch | ||||||
| 27 | kann etwas Äußeres ursprünglich erworben werden. - Die peremtorische | ||||||
| 28 | Erwerbung findet nur im bürgerlichen Zustande statt. | ||||||
| 29 | Gleichwohl ist jene provisorische dennoch eine wahre Erwerbung; | ||||||
| 30 | denn nach dem Postulat der rechtlich=praktischen Vernunft ist die Möglichkeit | ||||||
| 31 | derselben, in welchem Zustande die Menschen neben einander sein | ||||||
| 32 | mögen, (also auch im Naturzustande) ein Princip des Privatrechts, nach | ||||||
| 33 | welchem jeder zu demjenigen Zwange berechtigt ist, durch welchen es allein | ||||||
| 34 | möglich wird, aus jenem Naturzustande heraus zu gehen und in den bürgerlichen, | ||||||
| 35 | der allein alle Erwerbung peremtorisch machen kann, zu treten. | ||||||
| [ Seite 263 ] [ Seite 265 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |
|||||||