Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 263

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01
§ 14.
     
  02
Der rechtliche Act dieser Erwerbung ist Bemächtigung
     
  03
( occupatio ).
     
           
  04 Die Besitznehmung ( apprehensio ), als der Anfang der Inhabung      
  05 einer körperlichen Sache im Raume ( possessionis physicae ), stimmt unter      
  06 keiner anderen Bedingung mit dem Gesetz der äußeren Freiheit von jedermann      
  07 (mithin a priori) zusammen, als unter der der Priorität in Ansehung      
  08 der Zeit, d. i. nur als erste Besitznehmung ( prior apprehensio ),      
  09 welche ein Act der Willkür ist. Der Wille aber, die Sache (mithin auch      
  10 ein bestimmter abgetheilter Platz auf Erden) solle mein sein, d. i. die      
  11 Zueignung ( appropriatio ), kann in einer ursprünglichen Erwerbung nicht      
  12 anders als einseitig ( voluntas unilateralis s. propria ) sein. Die Erwerbung      
  13 eines äußeren Gegenstandes der Willkür durch einseitigen Willen      
  14 ist die Bemächtigung. Also kann die ursprüngliche Erwerbung desselben,      
  15 mithin auch eines abgemessenen Bodens nur durch Bemächtigung ( occupatio )      
  16 geschehen.      
           
  17 Die Möglichkeit auf solche Art zu erwerben läßt sich auf keine Weise      
  18 einsehen, noch durch Gründe darthun, sondern ist die unmittelbare Folge      
  19 aus dem Postulat der praktischen Vernunft. Derselbe Wille aber kann      
  20 doch eine äußere Erwerbung nicht anders berechtigen, als nur so fern er      
  21 in einem a priori vereinigten (d. i. durch die Vereinigung der Willkür      
  22 Aller, die in ein praktisches Verhältniß gegen einander kommen können)      
  23 absolut gebietenden Willen enthalten ist; denn der einseitige Wille (wozu      
  24 auch der doppelseitige, aber doch besondere Wille gehört) kann nicht      
  25 jedermann eine Verbindlichkeit auflegen, die an sich zufällig ist, sondern      
  26 dazu wird ein allseitiger, nicht zufällig, sondern a priori, mithin nothwendig      
  27 vereinigter und darum allein gesetzgebender Wille erfordert; denn      
  28 nur nach dieses seinem Princip ist Übereinstimmung der freien Willkür      
  29 eines jeden mit der Freiheit von jedermann, mithin ein Recht überhaupt,      
  30 und also auch ein äußeres Mein und Dein möglich.      
           
           
     

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