Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 262 |
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Text (Kant):
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| 01 | Denn setzet, der Boden gehöre niemanden an: so werde ich jede bewegliche | ||||||
| 02 | Sache, die sich auf ihm befindet, aus ihrem Platze stoßen können, | ||||||
| 03 | um ihn selbst einzunehmen, bis sie sich gänzlich verliert, ohne daß der | ||||||
| 04 | Freiheit irgend eines Anderen, der jetzt gerade nicht Inhaber desselben ist, | ||||||
| 05 | dadurch Abbruch geschieht; alles aber, was zerstört werden kann, ein Baum, | ||||||
| 06 | Haus u. s. w., ist (wenigstens der Materie nach) beweglich, und wenn man | ||||||
| 07 | die Sache, die ohne Zerstörung ihrer Form nicht bewegt werden kann, ein | ||||||
| 08 | Immobile nennt, so wird das Mein und Dein an jener nicht von der | ||||||
| 09 | Substanz, sondern dem ihr Anhängenden verstanden, welches nicht die | ||||||
| 10 | Sache selbst ist. | ||||||
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| 15 | Was das erste betrifft, so gründet sich dieser Satz auf dem Postulat | ||||||
| 16 | der praktischen Vernunft (§ 2); das zweite auf folgenden Beweis. | ||||||
| 17 | Alle Menschen sind ursprünglich (d. i. vor allem rechtlichen Act der | ||||||
| 18 | Willkür) im rechtmäßigen Besitz des Bodens, d. i. sie haben ein Recht, da | ||||||
| 19 | zu sein, wohin sie die Natur, oder der Zufall (ohne ihren Willen) gesetzt | ||||||
| 20 | hat. Dieser Besitz ( possessio ), der vom Sitz ( sedes ) als einem willkürlichen, | ||||||
| 21 | mithin erworbenen, dauernden Besitz unterschieden ist, ist ein | ||||||
| 22 | gemeinsamer Besitz wegen der Einheit aller Plätze auf der Erdfläche | ||||||
| 23 | als Kugelfläche: weil, wenn sie eine unendliche Ebene wäre, die Menschen | ||||||
| 24 | sich darauf so zerstreuen könnten, daß sie in gar keine Gemeinschaft mit | ||||||
| 25 | einander kämen, diese also nicht eine nothwendige Folge von ihrem | ||||||
| 26 | Dasein auf Erden wäre. - Der Besitz aller Menschen auf Erden, der vor | ||||||
| 27 | allem rechtlichen Act derselben vorhergeht (von der Natur selbst constituirt | ||||||
| 28 | ist), ist ein ursprünglicher Gesammtbesitz ( communio possessionis | ||||||
| 29 | originaria ), dessen Begriff nicht empirisch und von Zeitbedingungen | ||||||
| 30 | abhängig ist, wie etwa der gedichtete, aber nie erweisliche eines | ||||||
| 31 | uranfänglichen Gesammtbesitzes ( communio primaeva ), sondern | ||||||
| 32 | ein praktischer Vernunftbegriff, der a priori das Princip enthält, nach | ||||||
| 33 | welchem allein die Menschen den Platz auf Erden nach Rechtsgesetzen gebrauchen | ||||||
| 34 | können. | ||||||
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