Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 251

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Diese ursprüngliche Gemeinschaft des Bodens und hiemit      
  02 auch der Sachen auf demselben ( communio fundi originaria ) ist eine      
  03 Idee, welche objective (rechtlich praktische) Realität hat, und ist ganz      
  04 und gar von der uranfänglichen ( communio primaeva ) unterschieden,      
  05 welche eine Erdichtung ist: weil diese eine gestiftete Gemeinschaft      
  06 hätte sein und aus einem Vertrage hervorgehen müssen,      
  07 durch den alle auf den Privatbesitz Verzicht gethan, und ein jeder      
  08 durch die Vereinigung seiner Besitzung mit der jedes Andern jenen      
  09 in einen Gesammtbesitz verwandelt habe, und davon müßte uns die      
  10 Geschichte einen Beweis geben. Ein solches Verfahren aber als ursprüngliche      
  11 Besitznehmung anzusehen, und daß darauf jedes Menschen      
  12 besonderer Besitz habe gegründet werden können und sollen, ist      
  13 ein Widerspruch.      
           
  14 Von dem Besitz ( possessio ) ist noch der Sitz ( sedes ), und von      
  15 der Besitznehmung des Bodens in der Absicht ihn dereinst zu erwerben      
  16 ist noch die Niederlassung, Ansiedelung ( incolatus ), unterschieden,      
  17 welche ein fortdauernder Privatbesitz eines Platzes ist, der      
  18 von der Gegenwart des Subjects auf demselben abhängt. Von einer      
  19 Niederlassung als einem zweiten rechtlichen Act, der auf die Besitznehmung      
  20 folgen, oder auch ganz unterbleiben kann, ist hier nicht die      
  21 Rede: weil sie kein ursprünglicher, sondern von der Beistimmung      
  22 Anderer abgeleiteter Besitz sein würde.      
           
  23 Der bloße physische Besitz (die Inhabung) des Bodens ist schon      
  24 ein Recht in einer Sache, obzwar freilich noch nicht hinreichend, ihn      
  25 als das Meine anzusehen. Beziehungsweise auf Andere ist er, als      
  26 (so viel man weiß) erster Besitz, mit dem Gesetz der äußern Freiheit      
  27 einstimmig und zugleich in dem ursprünglichen Gesammtbesitz enthalten,      
  28 der a priori den Grund der Möglichkeit eines Privatbesitzes      
  29 enthält; mithin den ersten Inhaber eines Bodens in seinem Gebrauch      
  30 desselben zu stören, eine Läsion. Die erste Besitznehmung hat also      
  31 einen Rechtsgrund ( titulus possessionis ) für sich, welcher der ursprünglich      
  32 gemeinsame Besitz ist, und der Satz: wohl dem, der im      
  33 Besitz ist ( beati possidentes )! weil Niemand verbunden ist, seinen      
  34 Besitz zu beurkunden, ist ein Grundsatz des natürlichen Rechts, der      
  35 die erste Besitznehmung als einen rechtlichen Grund zur Erwerbung      
  36 aufstellt, auf den sich jeder erste Besitzer fußen kann.      
           
  37 In einem theoretischen Grundsatze a priori müßte nämlich (zu      
           
     

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