Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 226 |
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01 | Der oberste Grundsatz der Sittenlehre ist also: handle nach einer | ||||||
02 | Maxime, die zugleich als allgemeines Gesetz gelten kann. - jede Maxime, | ||||||
03 | die sich hiezu nicht qualificirt, ist der Moral zuwider. | ||||||
04 | Von dem Willen gehen die Gesetze aus; von der Willkür die | ||||||
05 | Maximen. Die letztere ist im Menschen eine freie Willkür; der Wille, | ||||||
06 | der auf nichts Anderes, als bloß auf Gesetz geht, kann weder frei | ||||||
07 | noch unfrei genannt werden, weil er nicht auf Handlungen, sondern | ||||||
08 | unmittelbar auf die Gesetzgebung für die Maxime der Handlungen | ||||||
09 | (also die praktische Vernunft selbst) geht, daher auch schlechterdings | ||||||
10 | nothwendig und selbst keiner Nöthigung fähig ist. Nur die Willkür | ||||||
11 | also kann frei genannt werden. | ||||||
12 | Die Freiheit der Willkür aber kann nicht durch das Vermögen | ||||||
13 | der Wahl, für oder wider das Gesetz zu handeln, ( libertas indifferentiae ) | ||||||
14 | definirt werden - wie es wohl einige versucht haben, - obzwar | ||||||
15 | die Willkür als Phänomen davon in der Erfahrung häufige | ||||||
16 | Beispiele giebt. Denn die Freiheit (so wie sie uns durchs moralische | ||||||
17 | Gesetz allererst kundbar wird) kennen wir nur als negative Eigenschaft | ||||||
18 | in uns, nämlich durch keine sinnliche Bestimmungsgründe zum | ||||||
19 | Handeln genöthigt zu werden. Als Noumen aber, d. i. nach dem | ||||||
20 | Vermögen des Menschen bloß als Intelligenz betrachtet, wie sie in | ||||||
21 | Ansehung der sinnlichen Willkür nöthigend ist, mithin ihrer positiven | ||||||
22 | Beschaffenheit nach, können wir sie theoretisch gar nicht darstellen. | ||||||
23 | Nur das können wir wohl einsehen: daß, obgleich der Mensch | ||||||
24 | als Sinnenwesen der Erfahrung nach ein Vermögen zeigt dem | ||||||
25 | Gesetze nicht allein gemäß, sondern auch zuwider zu wählen, dadurch | ||||||
26 | doch nicht seine Freiheit als intelligiblen Wesens definirt | ||||||
27 | werden könne, weil Erscheinungen kein übersinnliches Object (dergleichen | ||||||
28 | doch die freie Willkür ist) verständlich machen können, und | ||||||
29 | daß die Freiheit nimmermehr darin gesetzt werden kann, daß das | ||||||
30 | vernünftige Subject auch eine wider seine (gesetzgebende) Vernunft | ||||||
31 | streitende Wahl treffen kann; wenn gleich die Erfahrung oft genug | ||||||
32 | beweist, daß es geschieht (wovon wir doch die Möglichkeit nicht begreifen | ||||||
33 | können). - Denn ein Anderes ist, einen Satz (der Erfahrung) | ||||||
34 | einräumen, ein Anderes, ihn zum Erklärungsprincip (des | ||||||
35 | Begriffs der freien Willkür) und allgemeinen Unterscheidungsmerkmal | ||||||
36 | (vom arbitrio bruto s. servo ) machen; weil das Erstere | ||||||
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