Kant: AA VI, Die Metaphysik der Sitten. ... , Seite 224

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 ist; die Pflicht selbst mag ihrem Inhalte oder ihrem Ursprunge      
  02 nach sein, von welcher Art sie wolle. Eine pflichtwidrige That heißt Übertretung      
  03 ( reatus ).      
           
  04 Eine unvorsetzliche Übertretung, die gleichwohl zugerechnet werden      
  05 kann, heißt bloße Verschuldung ( culpa ). Eine vorsetzliche (d. i. diejenige,      
  06 welche mit dem Bewußtsein, daß sie Übertretung sei, verbunden      
  07 ist) heißt Verbrechen ( dolus ). Was nach äußeren Gesetzen recht ist,      
  08 heißt gerecht ( iustum ), was es nicht ist, ungerecht ( iniustum ).      
           
  09 Ein Widerstreit der Pflichten ( collisio officiorum s. obligationum )      
  10 würde das Verhältniß derselben sein, durch welches eine derselben      
  11 die andere (ganz oder zum Theil) aufhöbe. - Da aber Pflicht und Verbindlichkeit      
  12 überhaupt Begriffe sind, welche die objective praktische Nothwendigkeit      
  13 gewisser Handlungen ausdrücken, und zwei einander entgegengesetzte      
  14 Regeln nicht zugleich nothwendig sein können, sondern wenn      
  15 nach einer derselben zu handeln es Pflicht ist, so ist nach der entgegengesetzten      
  16 zu handeln nicht allein keine Pflicht, sondern sogar pflichtwidrig:      
  17 so ist eine Collision von Pflichten und Verbindlichkeiten gar nicht      
  18 denkbar ( obligationes non colliduntur ). Es können aber gar wohl zwei      
  19 Gründe der Verbindlichkeit ( rationes obligandi ), deren einer aber oder      
  20 der andere zur Verpflichtung nicht zureichend ist ( rationes obligandi non      
  21 obligantes ), in einem Subject und der Regel, die es sich vorschreibt, verbunden      
  22 sein, da dann der eine nicht Pflicht ist. - Wenn zwei solcher      
  23 Gründe einander widerstreiten, so sagt die praktische Philosophie nicht:      
  24 daß die stärkere Verbindlichkeit die Oberhand behalte ( fortior obligatio      
  25 vincit ), sondern der stärkere Verpflichtungsgrund behält den Platz      
  26 ( fortior obligandi ratio vincit ).      
           
  27 Überhaupt heißen die verbindenden Gesetze, für die eine äußere Gesetzgebung      
  28 möglich ist, äußere Gesetze ( leges externae ). Unter diesen sind      
  29 diejenigen, zu denen die Verbindlichkeit auch ohne äußere Gesetzgebung      
  30 a priori durch die Vernunft erkannt werden kann, zwar äußere, aber      
  31 natürliche Gesetze; diejenigen dagegen, die ohne wirkliche äußere Gesetzgebung      
  32 gar nicht verbinden (also ohne die letztere nicht Gesetze sein würden),      
  33 heißen positive Gesetze. Es kann also eine äußere Gesetzgebung gedacht      
  34 werden, die lauter positive Gesetze enthielte; alsdann aber müßte doch      
  35 ein natürliches Gesetz vorausgehen, welches die Autorität des Gesetzgebers      
  36 (d. i. die Befugniß, durch seine bloße Willkür andere zu verbinden) begründete.      
           
           
     

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