Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 183 |
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01 | in der speculativen Vernunft für sich selbst nicht bestehen kann, sondern | ||||||
02 | sogar ihren Ursprung, noch mehr aber ihre Kraft gänzlich auf der Beziehung | ||||||
03 | zu unserer auf sich selbst beruhenden Pflichtbestimmung gründet. | ||||||
04 | Was ist nun natürlicher in der ersten Jugendunterweiseung und selbst in | ||||||
05 | dem Kanzelvortrage: die Tugendlehre vor der Gottseligkeitslehre, oder | ||||||
06 | diese vor jener (wohl gar ohne derselben zu erwähnen) vorzutragen? Beide | ||||||
07 | stehen offenbar in nothwendiger Verbindung mit einander. Dies ist aber | ||||||
08 | nicht anders möglich, als, da sie nicht einerlei sind, eine müßte als Zweck, | ||||||
09 | die andere bloß als Mittel gedacht und vorgetragen werden. Die Tugendlehre | ||||||
10 | aber besteht durch sich selbst (selbst ohne den Begriff von Gott), die | ||||||
11 | Gottseligkeitslehre enthält den Begriff von einem Gegenstande, den wir | ||||||
12 | uns in Beziehung auf unsere Moralität, als ergänzende Ursache unseres | ||||||
13 | Unvermögens in Ansehung des moralischen Endzwecks vorstellen. Die | ||||||
14 | Gottseligkeitslehre kann also nicht für sich den Endzweck der sittlichen Bestrebung | ||||||
15 | ausmachen, sondern nur zum Mittel dienen, das, was an sich | ||||||
16 | einen besseren Menschen ausmacht, die Tugendgesinnung, zu stärken, dadurch | ||||||
17 | daß sie ihr (als einer Bestrebung zum Guten, selbst zur Heiligkeit) | ||||||
18 | die Erwartung des Endzwecks, dazu jene unvermögend ist, verheißt und | ||||||
19 | sichert. Der Tugendbegriff ist dagegen aus der Seele des Menschen genommen. | ||||||
20 | Er hat ihn schon ganz, obzwar unentwickelt, in sich und darf | ||||||
21 | nicht, wie der Religionsbegriff durch Schlüsse herausvernünftelt werden. | ||||||
22 | In seiner Reinigkeit, in der Erweckung des Bewußtseins eines sonst von | ||||||
23 | uns nie gemuthmaßten Vermögens, über die größten Hindernisse in uns | ||||||
24 | Meister werden zu können, in der Würde der Menschheit, die der Mensch | ||||||
25 | an seiner eignen Person und ihrer Bestimmung verehren muß, nach der | ||||||
26 | er strebt, um sie zu erreichen, liegt etwas so Seelenerhebendes und zur | ||||||
27 | Gottheit selbst, die nur durch ihre Heiligkeit und als Gesetzgeber für die | ||||||
28 | Tugend anbetungswürdig ist, Hinleitendes, daß der Mensch, selbst wenn | ||||||
29 | er noch weit davon entfernt ist, diesem Begriffe die Kraft des Einflusses | ||||||
30 | auf seine Maximen zu geben, dennoch nicht ungern damit unterhalten | ||||||
31 | wird, weil er sich selbst durch diese Idee schon in gewissem Grade veredelt | ||||||
32 | fühlt, indessen daß der Begriff von einem diese Pflicht zum Gebote für | ||||||
33 | uns machenden Weltherrscher noch in großer Ferne von ihm liegt und, | ||||||
34 | wenn er davon anfinge, seinen Muth (der das Wesen der Tugend mit | ||||||
35 | ausmacht) niederschlagen, die Gottseligkeit aber in schmeichelnde, knechtische | ||||||
36 | Unterwerfung unter eine despotisch gebietende Macht zu verwandeln, | ||||||
37 | in Gefahr bringen würde. Dieser Muth, auf eigenen Füßen zu stehen, | ||||||
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