Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 182 |
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| 01 | reinen Religionsglauben, der jedem Menschen nicht allein begreiflich, sondern | ||||||
| 02 | auch im höchsten Grade ehrwürdig ist; ja es führt dahin so natürlich, | ||||||
| 03 | daß, wenn man den Versuch machen will, man finden wird, daß er jedem | ||||||
| 04 | Menschen, ohne ihm etwas davon gelehrt zu haben, ganz und gar abgefragt | ||||||
| 05 | werden kann. Es ist also nicht allein klüglich gehandelt, von diesem | ||||||
| 06 | anzufangen und den Geschichtsglauben, der damit harmonirt, auf ihn | ||||||
| 07 | folgen zu lassen, sondern es ist auch Pflicht, ihn zur obersten Bedingung | ||||||
| 08 | zu machen, unter der wir allein hoffen können, des Heils theilhaftig zu | ||||||
| 09 | werden, was uns ein Geschichtsglaube immer verheißen mag, und zwar | ||||||
| 10 | dergestalt, daß wir diesen nur nach der Auslegung, welche der reine Religionsglaube | ||||||
| 11 | ihm giebt, für allgemein verbindlich können oder dürfen | ||||||
| 12 | gelten lassen (weil dieser allgemein gültige Lehre enthält), indessen daß | ||||||
| 13 | der Moralisch=Gläubige doch auch für den Geschichtsglauben offen ist, sofern | ||||||
| 14 | er ihn zur Belebung seiner reinen Religionsgesinnung zuträglich findet, | ||||||
| 15 | welcher Glaube auf diese Art allein einen reinen moralischen Werth | ||||||
| 16 | hat, weil er frei und durch keine Bedrohung (wobei er nie aufrichtig sein | ||||||
| 17 | kann) abgedrungen ist. | ||||||
| 18 | Sofern nun aber auch der Dienst Gottes in einer Kirche auf die | ||||||
| 19 | reine moralische Verehrung desselben nach den der Menschheit überhaupt | ||||||
| 20 | vorgeschriebenen Gesetzen vorzüglich gerichtet ist, so kann man doch noch | ||||||
| 21 | fragen: ob in dieser immer nur Gottseligkeits= oder auch reine Tugendlehre, | ||||||
| 22 | jede besonders, den Inhalt des Religionsvortrags ausmachen | ||||||
| 23 | solle. Die erste Benennung, nämlich Gottseligkeitslehre, drückt vielleicht | ||||||
| 24 | die Bedeutung des Worts religio (wie es jetziger Zeit verstanden | ||||||
| 25 | wird) im objectiven Sinn am besten aus. | ||||||
| 26 | Gottseligkeit enthält zwei Bestimmungen der moralischen Gesinnung | ||||||
| 27 | im Verhältnisse auf Gott; Furcht Gottes ist diese Gesinnung in | ||||||
| 28 | Befolgung seiner Gebote aus schuldiger (Unterthans=) Pflicht, d. i. aus | ||||||
| 29 | Achtung fürs Gesetz; Liebe Gottes aber aus eigener freier Wahl und | ||||||
| 30 | aus Wohlgefallen am Gesetze (aus Kindespflicht). Beide enthalten also | ||||||
| 31 | noch über die Moralität den Begriff von einem mit Eigenschaften, die | ||||||
| 32 | das durch diese beabsichtigte, aber über unser Vermögen hinausgehende | ||||||
| 33 | höchste Gut zu vollenden erforderlich sind, versehenen übersinnlichen Wesen, | ||||||
| 34 | von dessen Natur der Begriff, wenn wir über das moralische Verhältniß | ||||||
| 35 | der Idee desselben zu uns hinausgehen, immer in Gefahr steht, | ||||||
| 36 | von uns anthropomorphistisch und dadurch oft unseren sittlichen Grundsätzen | ||||||
| 37 | gerade zum Nachtheil gedacht zu werden, von dem also die Idee | ||||||
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