Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 179

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 sein kann, sich nach dem letzteren, was ihm allein schlechthin wohlgefällt,      
  02 richten muß), der verwandelt den Dienst Gottes in ein bloßes      
  03 Fetischmachen und übt einen Afterdienst aus, der alle Bearbeitung zur      
  04 wahren Religion rückgängig macht. So viel liegt, wenn man zwei gute      
  05 Sachen verbinden will, an der Ordnung, in der man sie verbindet! - In      
  06 dieser Unterscheidung aber besteht die wahre Aufklärung; der Dienst      
  07 Gottes wird dadurch allererst ein freier, mithin moralischer Dienst. Wenn      
  08 man aber davon abgeht, so wird statt der Freiheit der Kinder Gottes dem      
  09 Menschen vielmehr das Joch eines Gesetzes (des statutarischen) auferlegt,      
  10 welches dadurch, daß es als unbedingte Nöthigung etwas zu glauben,      
  11 was nur historisch erkannt werden und darum nicht für jedermann überzeugend      
  12 sein kann, ein für gewissenhafte Menschen noch weit schwereres      
  13 Joch ist*), als der ganze Kram frommer auferlegter Observanzen immer      
  14 sein mag, bei denen es genug ist, daß man sie begeht, um mit einem eingerichteten      
  15 kirchlichen gemeinen Wesen zusammen zu passen, ohne daß jemand      
  16 innerlich oder äußerlich das Bekenntniß seines Glaubens ablegen      
  17 darf, daß er es für eine von Gott gestiftete Anordnung halte: denn      
  18 durch dieses wird eigentlich das Gewissen belästigt.      
           
  19 Das Pfaffenthum ist also die Verfassung einer Kirche, sofern in      
  20 ihr ein Fetischdienst regiert, welches allemal da anzutreffen ist, wo nicht      
  21 Principien der Sittlichkeit, sondern statutarische Gebote, Glaubensregeln      
  22 und Observanzen die Grundlage und das Wesentliche derselben ausmachen.      
  23 Nun giebt es zwar manche Kirchenformen, in denen das Fetischmachen      
           
    *) "Dasjenige Joch ist sanft, und die Last ist leicht", wo die Pflicht, die jedermann obliegt, als von ihm selbst und durch seine eigene Vernunft ihm auferlegt betrachtet werden kann; das er daher so fern freiwillig auf sich nimmt. Von dieser Art sind aber nur die moralischen Gesetze, als göttliche Gebote, von denen allein der Stifter der reinen Kirche sagen konnte: "Meine Gebote sind nicht schwer". Dieser Ausdruck will nur so viel sagen: sie sind nicht beschwerlich, weil ein jeder die Nothwendigkeit ihrer Befolgung von selbst einsieht, mithin ihm dadurch nichts aufgedrungen wird, dahingegen despotisch gebietende, obzwar zu unserm Besten (doch nicht durch unsere Vernunft) uns auferlegte Anordnungen, davon wir keinen Nutzen sehen können, gleichsam Vexationen (Plackereien) sind, denen man sich nur gezwungen unterwirft. An sich sind aber die Handlungen, in der Reinigkeit ihrer Quelle betrachtet, die durch jene moralische Gesetze geboten werden, gerade die, welche dem Menschen am schwersten fallen, und wofür er gerne die beschwerlichsten frommen Plackereien übernehmen möchte, wenn es möglich wäre, diese statt jener in Zahlung zu bringen.      
           
     

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