Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 178

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Wirkung in der Welt hervorzubringen, dazu seine Kräfte, ja nicht einmal      
  02 seine Einsicht, ob sie auch Gott wohlgefällig sein möchte, für sich nicht zulangen;      
  03 welches schon in seinem Begriffe eine Ungereimtheit enthält.      
           
  04 Wenn der Mensch aber, außerdem daß er durch das, was ihn unmittelbar      
  05 zum Gegenstande des göttlichen Wohlgefallens macht, (durch      
  06 die thätige Gesinnung eines guten Lebenswandels) sich noch überdem vermittelst      
  07 gewisser Förmlichkeiten der Ergänzung seines Unvermögens durch      
  08 einen übernatürlichen Beistand würdig zu machen sucht und in dieser      
  09 Absicht durch Observanzen, die zwar keinen unmittelbaren Werth haben,      
  10 aber doch zur Beförderung jener moralischen Gesinnung als Mittel dienen,      
  11 sich für die Erreichung des Objects seiner guten, moralischen Wünsche blos      
  12 empfänglich zu machen meint, so rechnet er zwar zur Ergänzung seines      
  13 natürlichen Unvermögens auf etwas Übernatürliches, aber doch nicht      
  14 als auf etwas vom Menschen (durch Einfluß auf den göttlichen Willen)      
  15 Gewirktes, sondern Empfangenes, was er hoffen, aber nicht hervorbringen      
  16 kann. - Wenn ihm aber Handlungen, die an sich, so viel wir einsehen,      
  17 nichts Moralisches, Gott Wohlgefälliges enthalten, gleichwohl seiner      
  18 Meinung nach zu einem Mittel, ja zur Bedingung dienen sollen, die      
  19 Erhaltung seiner Wünsche unmittelbar von Gott zu erwarten: so muß er      
  20 in dem Wahne stehen, daß, ob er gleich für dieses Übernatürliche weder      
  21 ein physisches Vermögen, noch eine moralische Empfänglichkeit hat, er es      
  22 doch durch natürliche, an sich aber mit der Moralität gar nicht verwandte      
  23 Handlungen (welche auszuüben es keiner Gott wohlgefälligen Gesinnung      
  24 bedarf, die der ärgste Mensch also eben sowohl, als der beste ausüben      
  25 kann), durch Formeln der Anrufung, durch Bekenntnisse eines Lohnglaubens,      
  26 durch kirchliche Observanzen u. dgl., bewirken und so den      
  27 Beistand der Gottheit gleichsam herbeizaubern könne; denn es ist      
  28 zwischen bloß physischen Mitteln und einer moralisch wirkenden Ursache      
  29 gar keine Verknüpfung nach irgend einem Gesetze, welches sich die Vernunft      
  30 denken kann, nach welchem die letztere durch die erstere zu gewissen      
  31 Wirkungen als bestimmbar vorgestellt werden könnte.      
           
  32 Wer also die Beobachtung statutarischer einer Offenbarung bedürfenden      
  33 Gesetze als zur Religion nothwendig und zwar nicht bloß als Mittel      
  34 für die moralische Gesinnung, sondern als die objective Bedingung,      
  35 Gott dadurch unmittelbar wohlgefällig zu werden, voranschickt und diesem      
  36 Geschichtsglauben die Bestrebung zum guten Lebenswandel nachsetzt (anstatt      
  37 daß die erstere als etwas, was nur bedingterweise Gott wohlgefällig      
           
     

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