Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 172

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Weise unbekannte Mittel der Rechtfertigung nicht wissen, darum also auch      
  02 nicht zum Religionsgrundsatze aufnehmen und bekennen, zur ewigen Verwerfung:      
  03 wer ist alsdann hier wohl der Ungläubige? Der, welcher vertrauet,      
  04 ohne zu wissen, wie das, was er hofft, zugehe, oder der, welcher      
  05 diese Art der Erlösung des Menschen vom Bösen durchaus wissen will,      
  06 widrigenfalls er alle Hoffnung auf dieselbe aufgiebt? - Im Grunde ist      
  07 dem Letzteren am Wissen dieses Geheimnisses so viel eben nicht gelegen      
  08 (denn das lehrt ihn schon seine Vernunft, daß etwas zu wissen, wozu er      
  09 doch nichts thun kann, ihm ganz unnütz sei); sondern er will es nur      
  10 wissen, um sich (wenn es auch nur innerlich geschehe) aus dem Glauben,      
  11 der Annahme, dem Bekenntnisse und der Hochpreisung alles dieses Offenbarten      
  12 einen Gottesdienst machen zu können, der ihm die Gunst des      
  13 Himmels vor allem Aufwande seiner eigenen Kräfte zu einem guten      
  14 Lebenswandel, also ganz umsonst erwerben, den letzteren wohl gar übernatürlicher      
  15 Weise hervorbringen, oder, wo ihm etwa zuwider gehandelt      
  16 würde, wenigstens die Übertretung vergüten könne.      
           
  17 Zweitens: wenn der Mensch sich von der obigen Maxime nur im      
  18 mindesten entfernt, so hat der Afterdienst Gottes (die Superstition) weiter      
  19 keine Grenzen; denn über jene hinaus ist alles (was nur nicht unmittelbar      
  20 der Sittlichkeit widerspricht) willkürlich. Von dem Opfer der      
  21 Lippen an, welches ihm am wenigsten kostet, bis zu dem der Naturgüter,      
  22 die sonst zum Vortheil der Menschen wohl besser benutzt werden könnten,      
  23 ja bis zu der Aufopferung seiner eigenen Person, indem er sich (im Eremiten=,      
  24 Fakir= oder Mönchsstande) für die Welt verloren macht, bringt      
  25 er alles, nur nicht seine moralische Gesinnung Gott dar; und wenn er      
  26 sagt, er brächte ihm auch sein Herz, so versteht er darunter nicht die Gesinnung      
  27 eines ihm wohlgefälligen Lebenswandels, sondern einen herzlichen      
  28 Wunsch, daß jene Opfer für die letztere in Zahlung möchten aufgenommen      
  29 werden ( natio gratis anhelans, multa agendo nihil agens ,      
  30 Phaedrus).      
           
  31 Endlich, wenn man einmal zur Maxime eines vermeintlich Gott      
  32 für sich selbst wohlgefälligen, ihn auch nöthigenfalls versöhnenden, aber      
  33 nicht rein moralischen Dienstes übergegangen ist, so ist in der Art, ihm      
  34 gleichsam mechanisch zu dienen, kein wesentlicher Unterschied, welcher der      
  35 einen vor der andern einen Vorzug gebe. Sie sind alle dem Werth (oder      
  36 vielmehr Unwerth) nach einerlei, und es ist bloße Ziererei, sich durch      
  37 feinere Abweichung vom alleinigen intellectuellen Princip der ächten      
           
     

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