Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 171 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | glaubt; denn ob nicht über alles, was wir thun können, noch in den Geheimnissen | ||||||
02 | der höchsten Weisheit etwas sein möge, was nur Gott thun | ||||||
03 | kann, um uns zu ihm wohlgefälligen Menschen zu machen, wird hierdurch | ||||||
04 | nicht verneint. Aber wenn die Kirche ein solches Geheimniß etwa als | ||||||
05 | offenbart verkündigen sollte, so wird doch die Meinung, daß diese Offenbarung, | ||||||
06 | wie sie uns die heilige Geschichte erzählt, zu glauben und sie | ||||||
07 | (es sei innerlich oder äußerlich) zu bekennen an sich etwas sei, dadurch | ||||||
08 | wir uns Gott wohlgefällig machen, ein gefährlicher Religionswahn sein. | ||||||
09 | Denn dieses Glauben ist als inneres Bekenntniß seines festen Fürwahrhaltens | ||||||
10 | so wahrhaftig ein Thun, das durch Furcht abgezwungen wird, | ||||||
11 | daß ein aufrichtiger Mensch eher jede andere Bedingung als diese eingehen | ||||||
12 | möchte, weil er bei allen andern Frohndiensten allenfalls nur etwas | ||||||
13 | Überflüssiges, hier aber etwas dem Gewissen in einer Declaration, | ||||||
14 | von deren Wahrheit er nicht überzeugt ist, Widerstreitendes thun würde. | ||||||
15 | Das Bekenntniß also, wovon er sich überredet, daß es für sich selbst (als | ||||||
16 | Annahme eines ihm angebotenen Guten) ihn Gott wohlgefällig machen | ||||||
17 | könne, ist etwas, was er noch über den guten Lebenswandel in Befolgung | ||||||
18 | der in der Welt auszuübenden moralischen Gesetze thun zu können vermeint, | ||||||
19 | indem er sich mit seinem Dienst geradezu an Gott wendet. | ||||||
20 | Die Vernunft läßt uns erstlich in Ansehung des Mangels eigener | ||||||
21 | Gerechtigkeit (die vor Gott gilt) nicht ganz ohne Trost. Sie sagt: daß, | ||||||
22 | wer in einer wahrhaften der Pflicht ergebenen Gesinnung so viel, als in | ||||||
23 | seinem Vermögen steht, thut, um (wenigstens in einer beständigen Annäherung | ||||||
24 | zur vollständigen Angemessenheit mit dem Gesetze) seiner Verbindlichkeit | ||||||
25 | ein Genüge zu leisten, hoffen dürfe, was nicht in seinem Vermögen | ||||||
26 | steht, das werde von der höchsten Weisheit auf irgend eine | ||||||
27 | Weise (welche die Gesinnung dieser beständigen Annäherung unwandelbar | ||||||
28 | machen kann) ergänzt werden, ohne daß sie sich doch anmaßt, die Art | ||||||
29 | zu bestimmen und zu wissen, worin sie bestehe, welche vielleicht so geheimnißvoll | ||||||
30 | sein kann, daß Gott sie uns höchstens in einer symbolischen | ||||||
31 | Vorstellung, worin das Praktische allein für uns verständlich ist, offenbaren | ||||||
32 | könnte, indessen daß wir theoretisch, was dieses Verhältniß Gottes | ||||||
33 | zum Menschen an sich sei, gar nicht fassen und Begriffe damit verbinden | ||||||
34 | könnten, wenn er uns ein solches Geheimniß auch entdecken wollte. | ||||||
35 | Gesetzt nun, eine gewisse Kirche behaupte, die Art, wie Gott jenen moralischen | ||||||
36 | Mangel am menschlichen Geschlecht ergänzt, bestimmt zu wissen, | ||||||
37 | und verurtheile zugleich alle Menschen, die jenes der Vernunft natürlicher | ||||||
[ Seite 170 ] [ Seite 172 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |