Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 077 |
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01 | es sei mit seiner Gesinnung eine Besserung vorgegangen, die alte (verderbte), | ||||||
02 | von der er ausgegangen ist, zugleich mit in Betrachtung ziehen | ||||||
03 | und, was und wie viel von der ersteren er abgelegt habe, und welche Qualität | ||||||
04 | (ob lautere oder noch unlautere) sowohl, als welchen Grad die vermeinte | ||||||
05 | neue Gesinnung habe, abnehmen können, um die erste zu überwinden | ||||||
06 | und den Rückfall in dieselbe zu verhüten; er wird sie also durchs | ||||||
07 | ganze Leben nachzusuchen haben. Da er also von seiner wirklichen Gesinnung | ||||||
08 | durch unmittelbares Bewußtsein gar keinen sichern und bestimmten | ||||||
09 | Begriff bekommen, sondern ihm nur aus seinem wirklich geführten | ||||||
10 | Lebenswandel abnehmen kann: so wird er für das Urtheil des künftigen | ||||||
11 | Richters (des aufwachenden Gewissens in ihm selbst zugleich mit der herbeigerufenen | ||||||
12 | empirischen Selbsterkenntniß) sich keinen andern Zustand zu | ||||||
13 | seiner Überführung denken können, als daß ihm sein ganzes Leben dereinst | ||||||
14 | werde vor Augen gestellt werden, nicht bloß ein Abschnitt desselben, | ||||||
15 | vielleicht der letzte und für ihn noch günstigste; hiermit aber würde er von | ||||||
16 | selbst die Aussicht in ein noch weiter fortgesetztes Leben (ohne sich hier | ||||||
17 | Grenzen zu setzen), wenn es noch länger gedauert hätte, verknüpfen. Hier | ||||||
18 | kann er nun nicht die zuvor erkannte Gesinnung die That vertreten lassen, | ||||||
19 | sondern umgekehrt, er soll aus der ihm vorgestellten That seine Gesinnung | ||||||
20 | abnehmen. Was, meint der Leser wohl, wird bloß dieser Gedanke, | ||||||
21 | welcher dem Menschen (der eben nicht der ärgste sein darf) vieles in die | ||||||
22 | Erinnerung zurückruft, was er sonst leichtsinnigerweise längst aus der Acht | ||||||
23 | gelassen hat, wenn man ihm auch nichts weiter sagte, als, er habe Ursache | ||||||
24 | zu glauben, er werde dereinst vor einem Richter stehen, von seinem künftigen | ||||||
25 | Schicksal nach seinem bisher geführten Lebenswandel urtheilen? | ||||||
26 | Wenn man im Menschen den Richter, der in ihm selbst ist, anfragt, so | ||||||
27 | beurtheilt er sich strenge, denn er kann seine Vernunft nicht bestechen; stellt | ||||||
28 | man ihm aber einen andern Richter vor, so wie man von ihm aus anderweitigen | ||||||
29 | Belehrungen Nachricht haben will, so hat er wider seine Strenge | ||||||
30 | vieles vom Vorwande der menschlichen Gebrechlichkeit hergenommene einzuwenden, | ||||||
31 | und überhaupt denkt er, ihm beizukommen: es sei, daß er durch | ||||||
32 | reuige, nicht aus wahrer Gesinnung der Besserung entspringende Selbstpeinigungen | ||||||
33 | der Bestrafung von ihm zuvorzukommen, oder ihn durch | ||||||
34 | Bitten und Flehen, auch durch Formeln und für gläubig ausgegebene | ||||||
35 | Bekenntnisse zu erweichen denkt; und wenn ihm hiezu Hoffnung gemacht | ||||||
36 | wird (nach dem Sprichwort: Ende gut, alles gut): so macht er darnach | ||||||
37 | schon frühzeitig seinen Anschlag, um nicht ohne Noth zu viel am vergnügten | ||||||
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