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Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 074 |
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geschieht. - Die Sinnesänderung ist nämlich ein Ausgang vom |
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Bösen und ein Eintritt ins Gute, das Ablegen des Alten und das Anziehen |
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des neuen Menschen, da das Subject der Sünde (mithin auch allen Neigungen, |
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sofern sie dazu verleiten) abstirbt, um der Gerechtigkeit zu leben. |
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In ihr aber als intellectueller Bestimmung sind nicht zwei durch eine |
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Zwischenzeit getrennte moralische Actus enthalten, sondern sie ist nur ein |
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einiger, weil die Verlassung des Bösen nur durch die gute Gesinnung, |
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welche den Eingang ins Gute bewirkt, möglich ist, und so umgekehrt. Das |
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gute Princip ist also in der Verlassung der Bösen eben sowohl, als in der |
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Annehmung der guten Gesinnung enthalten, und der Schmerz, der die |
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erste rechtmäßig begleitet, entspringt gänzlich aus der zweiten. Der Ausgang |
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aus der verderbten Gesinnung in die gute ist (als "das Absterben am |
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alten Menschen", "Kreuzigung des Fleisches") an sich schon Aufopferung |
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und Antretung einer langen Reihe von Übeln des Lebens, die der neue |
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Mensch in der Gesinnung des Sohnes Gottes, nämlich bloß um des Guten |
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willen, übernimmt; die aber doch eigentlich einem andern, nämlich dem |
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alten (denn dieser ist moralisch ein anderer), als Strafe gebührten. |
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Ob er also gleich physisch (seinem empirischen Charakter als Sinnenwesen |
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nach betrachtet) eben derselbe strafbare Mensch ist und als ein solcher |
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vor einem moralischen Gerichtshofe, mithin auch von ihm selbst gerichtet |
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werden muß, so ist er doch in seiner neuen Gesinnung (als intelligibles |
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Wesen) vor einem göttlichen Richter, vor welchem diese die That vertritt, |
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moralisch ein anderer, und diese in ihrer Reinigkeit, wie die des Sohnes |
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Gottes, welche er in sich aufgenommen hat, oder (wenn wir diese Idee personificiren) |
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dieser selbst trägt für ihn und so auch für alle, die an ihn |
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(praktisch) glauben, als Stellvertreter die Sündenschuld, thut durch |
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Leiden und Tod der höchsten Gerechtigkeit als Erlöser genug und macht |
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als Sachverwalter, daß sie hoffen können, vor ihrem Richter als gerechtfertigt |
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zu erscheinen, nur daß (in dieser Vorstellungsart) jenes Leiden, |
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was der neue Mensch, indem er dem alten abstirbt, im Leben fortwährend |
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übernehmen muß*), an dem Repräsentanten der Menschheit als ein für |
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*) Auch die reinste moralische Gesinnung bringt am Menschen als Weltwesen [Seitenumbruch] doch nichts mehr, als ein continuirliches Werden eines Gott wohlgefälligen Subjects der That nach (die in der Sinnenwelt angetroffen wird) hervor. Der Qualität nach (da sie als übersinnlich gegründet gedacht werden muß) soll und kann sie zwar heilig und der seines Urbildes gemäß sein; dem Grade nach - wie sie sich in Handlungen offenbart - bleibt sie immer mangelhaft und von der ersteren unendlich weit abstehend. Demungeachtet vertritt diese Gesinnung, weil sie den Grund des continuirlichen Fortschritts im Ergänzen dieser Mangelhaftigkeit enthält, als intellectuelle Einheit des Ganzen die Stelle der That in ihrer Vollendung. Allein nun fragt's sich: kann wohl derjenige, "an dem nichts Verdammliches ist", oder sein muß, sich gerechtfertigt Glauben und sich gleichwohl die Leiden, die ihm auf dem Wege zu immer größerem Guten zustoßen, immer noch als strafend zurechnen, also hierdurch eine Strafbarkeit, mithin auch eine Gott mißfällige Gesinnung bekennen? Ja, aber nur in der Qualität des Menschen, den er continuirlich auszieht. Was ihm in jener Qualität (der des alten Menschen) als Strafe gebühren würde (und das sind alle Leiden und Übel des Lebens überhaupt), das nimmt er in der Qualität des neuen Menschen freudig bloß um des Guten willen über sich; folglich werden sie ihm sofern und als einem solchen nicht als Strafen zugerechnet, sondern der Ausdruck will nur so viel sagen: alle ihm zustoßende Übel und Leiden, die der alte Mensch sich als Strafe hätte zurechnen müssen, und die er sich auch, sofern er ihm abstirbt, wirklich als solche zurechnet, die nimmt er in der Qualität des Neuen als so viel Anlässe der Prüfung und Übung seiner Gesinnung zum Guten willig auf, wovon selbst jene Bestrafung die Wirkung und zugleich die Ursache, mithin auch von derjenigen Zufriedenheit und moralischen Glückseligkeit ist, welche im Bewußtsein seines Fortschritts im Guten (der mit der Verlassung des Bösen ein Actus ist) besteht; dahingegen eben dieselbe Übel in der alten Gesinnung nicht allein als Strafen hätten gelten, sondern auch als solche empfunden werden müssen, weil sie, selbst als bloße Übel betrachtet, doch demjenigen gerade entgegengesetzt sind, was sich der Mensch in solcher Gesinnung als physische Glückseligkeit zu seinem einzigen Ziele macht. |
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