Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der ... , Seite 045

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 denn wie kann ein böser Baum gute Früchte bringen? Da aber doch      
  02 nach dem vorher abgelegten Geständnisse ein ursprünglich (der Anlage      
  03 nach) guter Baum arge Früchte hervorgebracht hat*) und der Verfall vom      
  04 Guten ins Böse (wenn man wohl bedenkt, daß dieses aus der Freiheit      
  05 entspringt) nicht begreiflicher ist, als das Wiederaufstehen aus dem Bösen      
  06 zum Guten: so kann die Möglichkeit des letztern nicht bestritten werden.      
  07 Denn ungeachtet jenes Abfalls erschallt doch das Gebot: wir sollen bessere      
  08 Menschen werden, unvermindert in unserer Seele; folglich müssen wir      
  09 es auch können, sollte auch das, was wir thun können, für sich allein unzureichend      
  10 sein und wir uns dadurch nur eines für uns unerforschlichen      
  11 höheren Beistandes empfänglich machen. - Freilich muß hiebei vorausgesetzt      
  12 werden, daß ein Keim des Guten in seiner ganzen Reinigkeit übrig      
  13 geblieben, nicht vertilgt oder verderbt werden konnte, welcher gewiß nicht      
  14 die Selbstliebe **) sein kann, die, als Princip aller unserer Maximen angenommen,      
  15 gerade die Quelle alles Bösen ist.      
           
           
    *) Der der Anlage nach gute Baum ist es noch nicht der That nach; denn wäre er es, so könnte er freilich nicht arge Früchte bringen; nur wenn der Mensch die für das moralische Gesetz in ihn gelegte Triebfeder in seine Maxime aufgenommen hat, wird er ein guter Mensch (der Baum schlechthin ein guter Baum) genannt.      
           
    **) Worte, die einen zwiefachen, ganz verschiedenen Sinn annehmen können, halten öfters die Überzeugung aus den klärsten Gründen lange Zeit auf. Wie Liebe überhaupt, so kann auch Selbstliebe in die des Wohlwollens und des Wohlgefallens ( benevolentiae et complacentiae ) eingetheilt werden, und beide müssen (wie sich von selbst versteht) vernünftig sein. Die erste in seine Maxime aufnehmen, ist natürlich (denn wer wird nicht wollen, daß es ihm jederzeit wohl ergehe?). Sie ist aber sofern vernünftig, als theils in Ansehung des Zwecks nur dasjenige, was mit dem größten und dauerhaftesten Wohlergehen zusammen bestehen kann, theils zu jedem dieser Bestandstücke der Glückseligkeit die tauglichsten Mittel gewählt werden. Die Vernunft vertritt hier nur die Stelle einer Dienerin der natürlichen Neigung; die Maxime aber, die man deshalb annimmt, hat gar keine Beziehung auf Moralität. Wird sie aber zum unbedingten Princip der Willkür gemacht, so ist die Quelle eines unabsehlich großen Widerstreits gegen die Sittlichkeit. - Eine vernünftige Liebe des Wohlgefallens an sich selbst kann nun entweder so verstanden werden, daß wir uns in jenen schon genannten auf Befriedigung der Naturneigung abzweckenden Maximen (so fern jener Zweck durch Befolgung derselben erreicht wird) wohlgefallen; und da ist sie mit der Liebe des Wohlwollens gegen sich selbst einerlei; man gefällt sich selbst, wie ein Kaufmann, dem seine Handlungsspeculationen gut einschlagen, und der sich wegen der dabei genommenen Maximen seiner guten Einsicht erfreut. Allein die Maxime der Selbstliebe [Seitenumbruch] des unbedingten (nicht von Gewinn oder Verlust als den Folgen der Handlung abhängenden) Wohlgefallens an sich selbst würde das innere Princip einer allein unter der Bedingung der Unterordnung unserer Maximen unter das moralische Gesetz uns möglichen Zufriedenheit sein. Kein Mensch, dem die Moralität nicht gleichgültig ist, kann an sich ein Wohlgefallen haben, ja gar ohne ein bitteres Mißfallen an sich selbst sein, der sich solcher Maximen bewußt ist, die mit dem moralischen Gesetze in ihm nicht übereinstimmen. Man könnte diese die Vernunftliebe seiner selbst nennen, welche alle Vermischung anderer Ursachen der Zufriedenheit aus den Folgen seiner Handlungen (unter dem Namen einer dadurch sich zu verschaffenden Glückseligkeit) mit den Triebfedern der Willkür verhindert. Da nun das letztere die unbedingte Achtung fürs Gesetz bezeichnet, warum will man durch den Ausdruck einer vernünftigen, aber nur unter der letzteren Bedingung moralischen Selbstliebe sich das deutliche Verstehen des Princips unnöthigerweise erschweren, indem man sich im Zirkel herumdreht (denn man kann sich nur auf moralische Art selbst lieben, sofern man sich seiner Maxime bewußt ist, die Achtung fürs Gesetz zur höchsten Triebfeder seiner Willkür zu machen)? Glückseligkeit ist unserer Natur nach für uns, als von Gegenständen der Sinnlichkeit abhängige Wesen, das erste und das, was wir unbedingt begehren. Eben dieselbe ist unserer Natur nach (wenn man überhaupt das, was uns angeboren ist, so nennen will) als mit Vernunft und Freiheit begabter Wesen bei weitem nicht das Erste, noch auch unbedingt ein Gegenstand unserer Maximen; sondern dieses ist die Würdigkeit glücklich zu sein, d. i. die Übereinstimmung aller unserer Maximen mit dem moralischen Gesetze. Daß diese nun objectiv die Bedingung sei, unter welcher der Wunsch der ersteren allein mit der gesetzgebenden Vernunft zusammenstimmen kann, darin besteht alle sittliche Vorschrift und in der Gesinnung, auch nur so bedingt zu wünschen, die sittliche Denkungsart.      
           
     

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