Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 463 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | Vernunftprincipien seiner Beurtheilung sei (ein Beweis κατ' | ||||||
02 | αληθειαν oder κατ' ανθρωπον , das letztere Wort in allgemeiner Bedeutung | ||||||
03 | für Menschen überhaupt genommen), ausmachen soll. Im ersteren Falle | ||||||
04 | ist er auf hinreichende Principien für die bestimmende, im zweiten bloß für | ||||||
05 | die reflectirende Urtheilskraft gegründet. Im letztern Falle kann er, auf bloß | ||||||
06 | theoretischen Principien beruhend, niemals auf Überzeugung wirken; legt | ||||||
07 | er aber ein praktisches Vernunftprincip zum Grunde (welches mithin allgemein | ||||||
08 | und nothwendig gilt), so darf er wohl auf eine in reiner praktischer | ||||||
09 | Absicht hinreichende, d. i. moralische, Überzeugung Anspruch machen. Ein | ||||||
10 | Beweis aber wirkt auf Überzeugung, ohne noch zu überzeugen, wenn | ||||||
11 | er bloß auf dem Wege dahin geführt wird, d. i. nur objective Gründe dazu | ||||||
12 | in sich enthält, die, ob sie gleich noch nicht zur Gewißheit hinreichend, | ||||||
13 | dennoch von der Art sind, daß sie nicht bloß als subjective Gründe des Urtheils | ||||||
14 | zur Überredung dienen. | ||||||
15 | Alle theoretische Beweisgründe reichen nun entweder zu: 1)zum Beweise | ||||||
16 | durch logisch=strenge Vernunftschlüsse; oder, wo dieses nicht ist, | ||||||
17 | 2) zum Schlusse nach der Analogie; oder, findet auch dieses etwa nicht | ||||||
18 | Statt, doch noch 3)zur wahrscheinlichen Meinung; oder endlich, | ||||||
19 | was das Mindeste ist, 4)zur Annehmung eines bloß möglichen Erklärungsgrundes, | ||||||
20 | als Hypothese. - Nun sage ich: daß alle Beweisgründe | ||||||
21 | überhaupt, die auf theoretische Überzeugung wirken, kein Fürwahrhalten | ||||||
22 | dieser Art von dem höchsten bis zum niedrigsten Grade desselben bewirken | ||||||
23 | können, wenn der Satz von der Existenz eines Urwesens, als eines Gottes | ||||||
24 | in der dem ganzen Inhalte dieses Begriffs angemessenen Bedeutung, | ||||||
25 | nämlich als eines moralischen Welturhebers, mithin so, daß durch ihn | ||||||
26 | zugleich der Endzweck der Schöpfung angegeben wird, bewiesen werden | ||||||
27 | soll. | ||||||
28 | 1) Was den logisch=gerechten, vom Allgemeinen zum Besonderen | ||||||
29 | fortgehenden Beweis betrifft, so ist in der Kritik hinreichend dargethan | ||||||
30 | worden: daß, da dem Begriffe von einem Wesen, welches über die Natur | ||||||
31 | hinaus zu suchen ist, keine uns mögliche Anschauung correspondirt, dessen | ||||||
32 | Begriff also selbst, sofern er durch synthetische Prädicate theoretisch bestimmt | ||||||
33 | werden soll, für uns jederzeit problematisch bleibt, schlechterdings | ||||||
34 | kein Erkenntniß desselben (wodurch der Umfang unseres theoretischen | ||||||
35 | Wissens im mindesten erweitert würde) Statt finde, und unter die allgemeinen | ||||||
36 | Principien der Natur der Dinge der besondere Begriff eines übersinnlichen | ||||||
37 | Wesens gar nicht subsumirt werden könne, um von jenen auf | ||||||
[ Seite 462 ] [ Seite 464 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |