Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 439

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Begriffe einer Gottheit zu ergänzen; und wir würden uns nicht fälschlich      
  02 einbilden, diese Idee, mit ihr aber eine Theologie durch den theoretischen      
  03 Vernunftgebrauch der physischen Weltkenntniß zu Stande gebracht, viel      
  04 weniger, ihre Realität bewiesen zu haben.      
           
  05 Man kann es den Alten nicht so hoch zum Tadel anrechnen, wenn      
  06 sie sich ihre Götter als theils ihrem Vermögen, theils den Absichten und      
  07 Willensmeinungen nach sehr mannigfaltig verschieden, alle aber, selbst ihr      
  08 Oberhaupt nicht ausgenommen, noch immer auf menschliche Weise eingeschränkt      
  09 dachten. Denn wenn sie die Einrichtung und den Gang der      
  10 Dinge in der Natur betrachteten, so fanden sie zwar Grund genug etwas      
  11 mehr als Mechanisches zur Ursache derselben anzunehmen und Absichten      
  12 gewisser oberer Ursachen, die sie nicht anders als übermenschlich denken      
  13 konnten, hinter dem Maschinenwerk dieser Welt zu vermuthen. Weil sie      
  14 aber das Gute und Böse, das Zweckmäßige und Zweckwidrige in ihr wenigstens      
  15 für unsere Einsicht sehr gemischt antrafen und sich nicht erlauben      
  16 konnten, insgeheim dennoch zum Grunde liegende weise und wohlthätige      
  17 Zwecke, von denen sie doch den Beweis nicht sahen, zum Behuf der willkürlichen      
  18 Idee eines höchstvollkommenen Urhebers anzunehmen: so konnte      
  19 ihr Urtheil von der obersten Weltursache schwerlich anders ausfallen, so      
  20 fern sie nämlich nach Maximen des bloß theoretischen Gebrauchs der Vernunft      
  21 ganz consequent verfuhren. Andere, die als Physiker zugleich Theologen      
  22 sein wollten, dachten Befriedigung für die Vernunft darin zu finden,      
  23 daß sie für die absolute Einheit des Princips der Naturdinge, welche die      
  24 Vernunft fordert, vermittelst der Idee von einem Wesen sorgten, in welchem      
  25 als alleiniger Substanz jene insgesammt nur inhärirende Bestimmungen      
  26 wären: welche Substanz zwar nicht durch Verstand Ursache der      
  27 Welt, in welcher aber doch als Subject aller Verstand der Weltwesen anzutreffen      
  28 wäre; ein Wesen folglich, das zwar nicht nach Zwecken etwas      
  29 hervorbrächte, in welchem aber doch alle Dinge wegen der Einheit des      
  30 Subjects, von dem sie bloß Bestimmungen sind, auch ohne Zweck und Absicht      
  31 nothwendig sich auf einander zweckmäßig beziehen mußten. So führten      
  32 sie den Idealism der Endursachen ein: indem sie die so schwer herauszubringende      
  33 Einheit einer Menge zweckmäßig verbundener Substanzen      
  34 statt der Causalabhängigkeit von einer in die der Inhärenz in einer      
  35 verwandelten; welches System in der Folge, von Seiten der inhärirenden      
  36 Weltwesen betrachtet, als Pantheism, von Seiten des allein subsistirenden      
  37 Subjects als Urwesens (späterhin) als Spinozism, nicht sowohl die      
           
     

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