Kant: AA V, Kritik der Urtheilskraft ... , Seite 382 |
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01 | mit dem eines göttlichen Zwecks in der Anordnung der Natur verwechsele, | ||||||
02 | oder wohl gar den letztern für schicklicher und einer frommen Seele angemessener | ||||||
03 | ausgebe, weil es doch am Ende dahin kommen müsse, jene | ||||||
04 | zweckmäßige Formen in der Natur von einem weisen Welturheber abzuleiten; | ||||||
05 | sondern sich sorgfältig und bescheiden auf den Ausdruck, der | ||||||
06 | gerade nur so viel sagt, als wir wissen, nämlich eines Zwecks der Natur, | ||||||
07 | einschränken. Denn ehe wir noch nach der Ursache der Natur selbst fragen, | ||||||
08 | finden wir in der Natur und dem Laufe ihrer Erzeugung dergleichen Producte, | ||||||
09 | die nach bekannten Erfahrungsgesetzen in ihr erzeugt werden, nach | ||||||
10 | welchen die Naturwissenschaft ihre Gegenstände beurtheilen, mithin auch | ||||||
11 | deren Causalität nach der Regel der Zwecke in ihr selbst suchen muß. | ||||||
12 | Daher muß sie ihre Gränze nicht überspringen, um das, dessen Begriffe | ||||||
13 | gar keine Erfahrung angemessen sein kann, und woran man sich allererst | ||||||
14 | nach Vollendung der Naturwissenschaft zu wagen befugt ist, in sie selbst | ||||||
15 | als einheimisches Princip hinein zu ziehen. | ||||||
16 | Naturbeschaffenheiten, die sich a priori demonstriren und also ihrer | ||||||
17 | Möglichkeit nach aus allgemeinen Principien ohne allen Beitritt der Erfahrung | ||||||
18 | einsehen lassen, können, ob sie gleich eine technische Zweckmäßigkeit | ||||||
19 | bei sich führen, dennoch, weil sie schlechterdings nothwendig | ||||||
20 | sind, gar nicht zur Teleologie der Natur, als einer in die Physik gehörigen | ||||||
21 | Methode die Fragen derselben aufzulösen, gezählt werden. Arithmetische, | ||||||
22 | geometrische Analogieen, imgleichen allgemeine mechanische Gesetze, so sehr | ||||||
23 | uns auch die Vereinigung verschiedener dem Anschein nach von einander | ||||||
24 | ganz unabhängiger Regeln in einem Princip an ihnen befremdend und | ||||||
25 | bewundernswürdig vorkommen mag, enthalten deswegen keinen Anspruch | ||||||
26 | darauf, teleologische Erklärungsgründe in der Physik zu sein; und wenn | ||||||
27 | sie gleich in der allgemeinen Theorie der Zweckmäßigkeit der Dinge der | ||||||
28 | Natur überhaupt mit in Betrachtung gezogen zu werden verdienen, so | ||||||
29 | würde diese doch anderwärts hin, nämlich in die Metaphysik, gehören | ||||||
30 | und kein inneres Princip der Naturwissenschaft ausmachen: wie es wohl | ||||||
31 | mit den empirischen Gesetzen der Naturzwecke an organisirten Wesen nicht | ||||||
32 | allein erlaubt, sondern auch unvermeidlich ist, die teleologische Beurtheilungsart | ||||||
33 | zum Princip der Naturlehre in Ansehung einer eigenen | ||||||
34 | Classe ihrer Gegenstände zu gebrauchen. | ||||||
35 | Damit nun Physik sich genau in ihren Gränzen halte, so abstrahirt | ||||||
36 | sie von der Frage, ob die Naturzwecke es absichtlich oder unabsichtlich | ||||||
37 | sind, gänzlich; denn das würde Einmengung in ein fremdes Geschäft | ||||||
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